
Der Serienmörder Fritz Haarmann, von Polizeibeamten in Handschellen gefilmt. Bundesarchiv, Bild 102-00824 / CC-BY-SA 3.0
Mörder und Sexualverbrecher machen sich am Pranger besonders gut – das uralte Sozialritual entfaltet bei ihnen seine ganze Anziehungskraft. Davon leben BILD, RTL, Holly- und Bollywood, auch alle die nigerianischen Filmproduktionen, die ihren Vorbildern nacheifern, was manche linksgestrickte Miesepeter als späten Sieg des Kolonialismus missbilligen, ein unbelehrbarer Optimist wie ich als das Problem fortwirkender Steinzeitimpulse in jeder Art Gesellschaft interpretiert.
“Gewalt Macht Lust” – die heilige Dreifaltigkeit menschlicher Triebimpulse – macht Quote. Klar: Menschen leben, überleben auch dank anderer Eigenschaften: Empathie, Kooperationsbereitschaft, Langmut, Selbstlosigkeit. In den Medien ist derlei natürlich nur als Kontrastprogramm vermittelbar, sonst wär’s langweilig. Schule und Bildung finden daher nur entlegene Sendeplätze, es sei denn, Pädokriminelle rückten ins Blickfeld, so wie Jugendliche hauptsächlich als Drogensüchtige und Krawallmacher von Interesse sind.
Wenn’s der Verkaufe dient, dürfen auch “whistleblower” – auf gut Deutsch Nestbeschmutzer – schon mal als Helden in Erscheinung treten. Im Programm bitteschön, nicht in der Alltagspraxis der gebührenfinanzierten Anstalten! Die Doku “Geschlossene Gesellschaft” über Pädokriminelle in der Odenwaldschule passte also zum Herzeigen für den grundgesetzlichen Auftrag der Anstalten, sie wurde – wie alle aufklärerischen Ambitionen – auf einen Sendeplatz jenseits der Primetime verschoben, denn in der Primetime wird mit dem quotenwirksamen Gegenteil versorgt. Nigeria lässt grüßen.
Die in den letzten Monaten aufgekommenen Sauereien zwischen Kika und MDR-Unterhaltungsprogramm sind ebensowenig Zufall und Ausnahme, wie all die Rollenverteilungen innerhalb dieser “geschlossenen Gesellschaft”, die mit finanziellen oder sexuellen Vorteilsnahmen einhergingen und von denen in 60 Jahren korporativer Verschwörung aufs Schweigen nie die Rede war.
Die “Whistleblower” innerhalb der Anstalten des öffentlichen Rechts sind hierzulande nicht weniger gefährdet als Journalisten sonstwo auf der Welt. Sie sind es womöglich noch mehr, denn sie – und alle, die sich mit ihnen verbünden – haben zu verlieren, was hierzulande zum Götzen geworden ist: das An-Gestellt-Sein mit vorzeigbarem finanziellen Erfolg, eine Art von Sozialprestige, das der riskanten unternehmerischen Selbständigkeit längst den Rang abgelaufen hat. Wer sich Feinde beim WDR gemacht hat, findet wenige Freunde bei einer andern Anstalt – dafür sorgen die Netzwerke der “Führungskräfte”. Es sind Netzwerke voller Geschichten von ökonomischer Erpressung und sexueller Abhängigkeit.
Insofern hinterlässt eine Dokumentation wie die über die Odenwaldschule eine sehr, sehr deutliche Unzufriedenheit über den Umgang der Anstalten mit ihren eigenen Defiziten.