In jenem Film hatte mich der Übermut gepackt. Der Meteorologie-Student Leo investierte seine letzten Ostmark in Sekt und ein Taxi, als die Schneekönigin sich just an seinen Tisch setzte: “Darf ick?”
„Na klar. Ich heiße Leo.“
„So jenau wollt‘ ick‘s jar nich wissen, aber okay: Heike.“ Stille. Zigarette zwischen schlanken Fingern, Leo hat ein Gasfeuerzeug aus dem Westen, gibt den Kavalier, dann passiert das Ungeheure: Sie greift nach seiner Hand zieht die Flamme vors Gesicht, ihr Blick ist in seinem, ein Blitz durchrast ihn, donnernd und stöhnend bricht das Packeis, brechen Wände von Gletschern und heben den Ozean, und Sonnenwind jagt ihn Kometen gleich durchs brennende Universum.
„Danke. Du bist kein Stammgast, oder?“
„Nein, mein Freund ist oft hier. Er ist Schauspieler, wir waren verabredet, er hat mich anscheinend versetzt.“
„Biste schwul?“
„Nicht dass ich wüsste“, sagt Leo unbedarft. Er versteht nicht, wieso die Schneekönigin daraufhin von einem Lachkrampf erschüttert wird, ordinär und herzhaft genug, jedes Marktweib zu beschämen.
„Hey Lisa, bring mal zwei Sekt. Wir ham was zu feiern. Der junge Mann ist weder schwul noch vom Theater. Wat machste eigentlich? Vielleicht solltest du den Sekt bestellen. Sammelst du Bekanntschaften? Du siehst gar nicht mal schlecht aus.“
„Welche Antwort zuerst?“ Leo ist hoch konzentriert. Er muss unbedingt schlagfertig sein.
„Meine Oma meint, zuerst muss klar sein, wer zahlt.“
„Meine auch. Sie steckt mir immer noch was zu, wenn ich sie besuche.“
„Oje, ein Schnorrer. Wie‘n Student siehste nicht mehr aus. Lassen wir die Omas leben und du bezahlst.“
„Gut. Nächste Frage?“
„Biste ein notgeiler Hungerkünstler?“ Die Kellnerin half ihm aus der Verlegenheit, zwei Kelche mit „Rotkäppchen“ landeten auf dem Tisch.
„Auf die Omas. Prost!“
„Auf die Hungerkünstler, denen das Geld egal ist.“ Die Schneekönigin leerte ihr Glas auf einen Zug. „Gibt‘s mehr davon?“
„Bestellen wir doch gleich eine Flasche.“ Der Übermut hatte Leo gepackt. Die Zeche würde ihn ruinieren. Beunruhigt stellte er fest, dass die Kellnerin seine Bestellung mit routiniertem Augenzwinkern quittierte. Tatsächlich war er völlig blank, als er nach einer zweiten Flasche und dem obligatorischen „Pfund“ für ein Schwarztaxi zu Hause landete, die Schneekönigin an seiner Seite. Sie hatten sich prächtig unterhalten, er hatte neidische Blicke im Rücken gespürt, als sie das „WC“ verließen. Nichts hätte ihn im Glauben erschüttern können, den schönsten Tag seines Lebens zu feiern – und die schönste Nacht.
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