Träume altern nicht (7)

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IMG_20140828_172029Mein Zustand an den folgenden Tagen ist fürchterlich. „Wollen wir telefonieren?“ Ich bekomme die Stimme nicht aus dem Kopf, nicht das Schaudern aus meinen Gliedern, wenn ich wieder und wieder an den Kuss denke. Hatte ich in meinem Leben je wieder so geküsst wie in jener Nacht? Immer wieder rasen meine Phantasien zwischen der Bohème vom Prenzlauer Berg und der Architektenvilla, immer wieder sitze ich neben dem Telefon, einige Whiskys versetzen mein Gehirn in hellwache Betäubung. Ich begehre diese fremde Frau rasend, und ich weiß, dass sie mein Begehren heute so wenig teilt wie damals. Ich wüsste gern, was sie antreibt, was sie von mir wollte, vielleicht noch will, und will ‘s nicht wissen, weil es einen Traum zerstören würde, endgültig, tödlich, unwiederbringlich, denn ich bin ein 60 Jahre alter Frührentner. Schneeköniginnen treten in Freudenstadt nicht auf, schon gar nicht meinetwegen. Schließlich – deshalb brauche ich den Whisky – falls ich dort anriefe, wäre womöglich Joshua, der berühmte Architekt am Apparat, demütigende Situation, für die ich eine blöde Ausrede haben müsste, mir fällt keine ein.

Nach einer knappen Woche schreckt mich das Telefon auf, ich weiß sofort, dass sie es ist, hätte ich den Anruf ignorieren wollen, hätte ich ebenso gut das Whiskyglas essen können.

„Ja?“

„Ich dachte mir schon, dass du dich nicht melden würdest, also tu ich ‘s. Stör ich?“

„Nein. Ich freu mich, hatte mich ehrlich gesagt nicht getraut. Wie geht ‘s dir?“

„Ich würde dich gern sehen.“ Sie macht keine Umstände – und mich sofort wieder verlegen. Sie weiß das offensichtlich und fährt fort: „Deine Kollegen haben Bombenwetter versprochen, mir ist nach einem Ausflug in den Schwarzwald. Wie wär ‘s morgen zum Kaffee, sagen wir halb drei im ‚Bacher‘, dort darfst du sogar rauchen. Danach gehen wir spazieren.“

„Das lässt sich einrichten. Du kennst dich anscheinend gut aus: ‚Was in Wien das Café Sacher ist in Freudenstadt das Bacher‘.“

„Ich habe ein bisschen recherchiert. Das Internet ist ziemlich verlässlich. Ist es nicht toll, dass wir das erleben? Wir können unsere Erfahrungen mit jeder Art Wissen verbinden. Noch in unserem Alter wartet das Abenteuer. Wir finden heraus, was uns an irgend einem Ort dieser Welt erwartet, trotzdem kann dort Unvorhersehbares geschehen.“

„Das war im WC nicht anders. Wir wussten, was uns dort erwartet: Ziemlich wenig. Wir kamen an diesen tristen Ort, weil es dort eine Gemeinschaft der Illusionslosen gab. Das war exotisch in einem Sozialismus, der Illusionen als Realität verordnete. ‚Du hast keine Chance, also nutze sie‘ – das war einer der Sprüche von damals. Mein Freund, der Schauspieler, hat das immer gesagt. Er wanderte in den Knast, als er einen Ausreiseantrag stellte. Vielleicht hat einer der Stasis im WC ihm dazu verholfen. Die saßen dort im Dutzend. Davor müssen wir uns im ‚Bacher‘ freilich nicht fürchten.“

„Du warst kein Stasi – oder?“

„Hast du das gedacht?“

„Ich wollte es rausfinden. Unter den Paradiesvögeln des Ostens warst du wirklich der mit dem spießigen Stasilook. Tut mir leid, ich wollte dich nicht kränken, aber so war ‘s.“

„Dass ein paar besonders bunte Vögel für die Stasi gearbeitet haben, kam dir nicht in den Sinn?“

„Nein. Weiß nicht. Meine Güte, ich war Zweiundzwanzig. Einige meiner Lehrer an der Schauspielschule waren Stasis, einige meiner Lover: Es war ja auch eine Art Spiel: So einem Typen mit den Titten vor der Nase herumzuschaukeln, bis er alles Mögliche ausplauderte, und ihm dann das Spielzeug wegzuziehen. Wollen wir dieses Scheißthema nicht beenden? Du warst keiner von denen. Das habe ich an dem Abend im WC gespürt, sonst wäre ich nicht in deiner Studentenbude gelandet. Und ich hätte dich nicht nach dreißig Jahren angerufen.“

Vermutlich habe ich schon ein paar Whiskys zu viel getrunken. Mich packt plötzlich ein Lachkrampf, der sich noch am Telefon sehr ungesund anhören muss. Die DDR und ihre Stasi sind lange untergegangen, aber das Misstrauen hat überlebt. Als habe einer sich an die tägliche Dosis Arsenik gewöhnt, um gegen das Gift immun zu werden. In alten Zeiten sollen Leute sich so vor Giftmorden geschützt haben.

„Kachelmann hatte wirklich Glück. Hätte ihn eine Stasitante mit Tittenschaukeln kirre gemacht und anschließend wegen Vergewaltigung hingehängt, wäre er für etliche Jahre in Bautzen eingefahren.“ Mir fällt sofort ein, dass es nicht unbedingt so gelaufen wäre. Einen Prominenten wie Kachelmann hätten die Mitarbeiter des Liebesministeriums viel lieber erpresst, sich als Spitzel unter Seinesgleichen nützlich zu machen. Vielleicht hat die schöne Heike denselben Gedanken, denn für eine Weile bleibt das Telefon stumm. Dann seufzt sie.

„Ich mag diese feministische Hysterie auch nicht. Immerhin hat dein Kollege Kachelmann Recht bekommen.“

„Es hat ihn die Existenz gekostet und viel Lebenszeit.“

„Du bist ziemlich verbittert, nicht wahr? Traust du mir etwa eine solche Sauerei zu?“ Der Alkohol hat mich hinreichend enthemmt, auf diese Frage zu antworten.

„Ich traue Frauen jede Art sadistischer Grausamkeit zu, die gemeinhin Männern – vor Boschausschnitt.jpgallem weißen – vorbehalten sein soll. Ihre Methoden sind subtiler. Sie sind körperlich unterlegen, blutige Rache wie in ‚Kill Bill‘ wird kaum eine üben. Dazu bräuchte es auch eine Energie und Hartnäckigkeit, wie sie nur ein Filmautor mit der Phantasie Quentin Tarantinos ersinnen kann. Die reale Rache der Frauen erfordert kein entbehrungsreiches Erlernen männlicher Kampfkunst, wie Uma Thurmann es vorführt. Die Jahrtausende alten weiblichen Methoden sind ererbt, sie werden auf ganz normalen Schulhöfen trainiert, sind unschlagbar, und der härteste Macho bekommt nicht einmal mit, wie sie funktionieren.“

„Hasst du die Frauen, weil deine Ehe schief ging?“

„Deine erste Ehe ging auch schief, hasst du deshalb die Männer?“

„Das ist etwas ganz anderes. Lass uns lieber morgen darüber reden, ja? Mich hasst du jedenfalls nicht – oder?“

„Morgen, okay. Schlaf gut.“ Und damit schalte ich das Gespräch ab. Vielleicht werde ich vergebens im Café Bacher auf die Schneekönigin warten.

Fortsetzung und Schluss

2 Kommentare zu “Träume altern nicht (7)

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