Corona: Krankheit und Größenwahn

Spanische Grippe 1918 in der Satire: „Krankheit harmlos“, sagt die Zeitung, „aber Gräber werden knapp!“

Ging es während der Ausbreitung von Covid-19 um den Kampf gegen Krankheit und Tod? Gewiss. Alle Erkrankten, ihre Angehörigen, das Personal in Krankenhäusern und Arztpraxen kämpften nach besten Kräften, oft bis sie damit am Ende waren – der Tod siegte weltweit millionenfach. Aber das vollbrachten nicht die Viren allein, nicht einmal dort, wo die natürlichen Abwehrkräfte infizierter Menschen schon durch Alter, Vorerkrankungen, prekäre Lebensverhältnisse geschwächt waren. Covid-19 bedrohte die Bevölkerung und forderte unermesslich viel Lebenszeit, Lebenskraft, Lebensfreude, weil schon vor Ausbruch der „Pandemie“ im Hintergrund ein anderer Kampf begonnen hatte, der sich mit dem Geschehen zunehmend als der eigentliche erwies: Der Kampf um die – informelle – Macht der Politiker und um die Profite von Pharma- und „Gesundheits“-Industrie. Letzterer tobt in der materiellen, quantifizierbaren Dimension der Macht. Aber beide Dimensionen der Macht – informelle und materielle – wie sie sich in der globalisierten Welt unserer Zeit offenbaren und dynamisch wechselwirken, vereinigten sich im Corona-Regime zu einem in solcher Radikalität sonst nur aus Revolutionen, Weltkriegen und Genoziden bekannten Impuls politischen Handelns.

Wenn jemand erkrankt, ist das ein Prozess von enormer Komplexität mit vielen Beteiligten, inneren und äußeren Begleitumständen und erstaunlichen Informationsflüssen im zellulären Bereich, also bei Eiweißsynthesen. Angestoßen wird er meist durch Erreger, deren Ziel ist, sich im Wirtsorganismus kräftig zu vermehren. Ein einzelner – etwa ein Virus – kann das nicht, und auch eine größere Zahl von ihnen scheitert meist schon, ehe sie sich so weit reproduzieren können, dass die körpereigene Abwehr alarmiert ist. Da Milliarden aller möglichen Mikroorganismen fortwährend in unserem Körper leben, sind unvorstellbare Mengen von Informationen andauernd unterwegs, um eine Latenz fürs Reagieren auf unerwünschte Eindringlinge aufrecht zu erhalten. Ich weiß nicht, ob das Immunsystem so etwas wie „Schlaf“ kennt – die Immunologen haben längst noch nicht alle wunderbaren Fähigkeiten enträtselt. Dass es antizipiert – also viele Möglichkeiten des Reagierens vorhält – scheint mir gewiss. Ich vergleiche es mit dem Tennisspieler, der hoch präzise auf die Bewegungsmuster seiner Gegenspieler eingestellt ist: Er retourniert ohne nachzudenken, weil er die Bewegungsmuster des anderen „vorausahnt“. Je besser er trainiert ist, je mehr Gegner er vom Platz gefegt hat, desto sicherer wird seine Antizipation.

Dass die Qualität einer Immunabwehr von vielen Faktoren abhängt, ist offensichtlich; die genetische Ausstattung aber ist wesentlich – und sie ist bei jedem Individuum unverwechselbar, einzigartig, ein wirkliches Naturwunder. Junge Menschen sind allgemein widerstandsfähiger: Während überstandene Infektionen ihr Arsenal gegen Erreger ertüchtigen, schwächen es Alter und Krankheiten wie Diabetes oder Asthma. Dass Impfungen als ihr „Trainingsprogramm“ zu einem Segen und einer großen Hoffnung für die Medizin wurde, ist ebenso bekannt, trotzdem interessieren die höchst unterschiedlichen Wirkungsweisen von Vakzinen die Mehrheit bis heute kaum. Sonst wäre nicht zu begreifen, dass in der Diskussion ums Impfen, gar um eine Impfpflicht für alle, die Unterschiede zwischen Pocken-, Masern-, Polio- und anderen seit langem bewährten Immunisierungen, insbesondere gegen Kinderkrankheiten, mit den „Impfstoffen“ im Falle COVID-19 durcheinander geworfen werden. Diese schaffen keine vergleichbare Immunität, sondern – wenn überhaupt – einen gewissen Schutz vor schweren Verläufen, vergleichbar mit Grippe-Impfstoffen.

Skandal in den 1960er Jahren mit zahllosen Opfern

Krankheiten verlaufen niemals bei zwei Patienten gleich. Wie sich ihre Körper unterscheiden, so auch die Immunsysteme. Ihre Qualität ist durch die Gene und die Lebensgeschichte bestimmt. Sie sind unvorstellbar komplex, lassen sich so wenig parametrisieren, vermessen, geschweige quantifizieren wie das Wettergeschehen des Planeten. Jede Diagnose ist in der Genauigkeit begrenzt, kalkuliert mit Unwägbarkeiten, und jeder, der einmal den Beipackzettel auch nur eines leichten Schmerzmittels aufmerksam gelesen hat, weiß das: Ellenlang werden Wahrscheinlichkeiten für Nebenwirkungen referiert, er wird aufgefordert, vermeintliche, bislang unbekannte, zu melden. Das tun die Hersteller, um nicht in Haftung genommen zu werden, weil sie nicht hinreichend aufgeklärt haben. Die Contergan-Katastrophe hat beispielhaft den kritischen Blick auf Pharmaprodukte geschärft. Insbesondere dann, wenn Risiken wegen anderer Krankheiten – etwa Allergien – oder wegen gleichzeitig eingenommener anderer Medikamente bestehen, ist eine Arznei „kontraindiziert“: Sie darf nicht angewandt werden.

Für „Comirnaty“ und seinesgleichen fehlten solche Angaben lange Zeit weitgehend; erst mit immer mehr Meldungen über Nebenwirkungen rücken die Hersteller damit heraus. Sie können beruhigt sein: Ihre Verträge, geschlossen mit Regierungen und „Gesundheits“- Bürokraten der ganzen Welt, stellen sie von der Verantwortung für allfällige Schäden ihrer begrenzt zugelassenen Produkte frei. Der deutsche Gesundheitsminister behauptet steif und fest, die verabreichten Seren seien “mehr oder weniger” ohne Nebenwirkungen – weil nicht sein kann, was nicht sein darf, und ihm seine Stellung in der Politbürokratie verheißt, er könne – jenseits des Grundgesetzes – jedem einzelnen mal mehr, mal weniger Freiheit zugestehen, über seine körperliche Unversehrtheit selbst zu entscheiden.

Derweil ließen die Panikwellen, ausgelöst von Medien, getrieben von staatlichen und supranationalen Protagonisten wie der WHO, das Verlangen nach der rettenden Nadel anschwellen bis zur Besinnungslosigkeit. Wer sich als Wissenschaftler oder Journalist dem entgegen stellte, wurde einfach weggespült oder wie kontaminiertes Treibgut behandelt. Dabei taten sich nicht wenige Politiker – namentlich der Grünen – hervor, die jahrzehntelang Ergebnisse der Gentechnologie rigoros abgelehnt hatten. Wieso? Sie sind inzwischen an der Macht.

Die Genforschung ist heute so etwas wie die Königsdisziplin der Molekularbiologie. Wer in ihr erfolgreich ist, kann Ruhm bis hin zum Nobelpreis und Gewinne in Milliardenhöhe erwerben – falls er die gewonnenen Informationen zur rechten Zeit veröffentlicht, Patente erwirbt und sie vermarktet. Dazu müssen sie allerdings tragfähig sein und sich in der Praxis beweisen. Wer etwa wirksame Vakzine gegen besonders bedrohliche Infektionen oder Medikamente gegen Krebs entwickeln könnte, verdiente damit nicht nur Milliarden, ihm lägen auch Milliarden Menschen samt Regierungen und Medien zu Füßen: Ein Weltenretter von der Dimension eines Messias. Welchen Mächtigen lockte nicht die Aussicht, das zu werden?

Das Erscheinen des Virus SARS-CoV-2 Ende 2020 und die folgenden, von den Medien dankbar in apokalyptische Höhen aufgetürmten Wellen der Ansteckung weckten entsprechende Hoffnungen. Ein Impfstoff befreit von einer lebensgefährlichen Krankheit – Covid-19! Was folgte, ist bekannt. Was nicht folgte, war Befreiung, auch wenn einige naturwissenschaftliche Analphabeten, medial hochgerüstet, eifernd wie alle Propagandisten von Patentlösungen und Endsiegen, sie unter Schlagworten wie „No-Covid“ oder „Zero-Covid“ ankündigten. Ihnen zufolge hätte sich die Bevölkerung nur den strengsten Maßnahmen widerstandslos unterwerfen und die befreiende Spritze erdulden müssen – den „Piks“ oder “Pieks” –, um die Gefahr auszuschalten.

Dieses Geschehen erreichte ein weltweite Dynamik ohnegleichen. Wer nach ihren Auslösern, Treibern, Profiteuren fragte, machte sich unbeliebt, ja er stellte sich einem kollektiven Bedürfnis nach Glauben entgegen. Nicht wenigen Mächtige geißelten die aller Wissenschaft zugrunde liegende Skepsis mit Begriffen wie „unsolidarisch“, „gemeinschaftsschädlich“, „staatsfeindlich“. Viele Medienkonsumenten – namentlich der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten – waren bereit, die Geschichte von der „Pandemie der Ungeimpften“ zu glauben, die an der „Seuche“, an überlasteten Kliniken und Gesundheitsämtern schuld seien. Die Statistiken – sofern sie nicht falsch oder voller Entstellungen waren – bewiesen nichts davon. Menschen ohne Impfung werden trotzdem von allen Seiten gelockt, öfter genötigt, das Vorgehen lässt sich recht eigentlich auf den Begriff „Kollektivzwang“ bringen. Erzwungen werden soll nicht mehr und nicht weniger als die Teilnahme an einem Menschenexperiment, wie es die Welt noch nicht gesehen hat – mit bis heute ungewissem Ausgang. „Wer sich nicht impfen lässt, gehört nicht zu uns!“ wird signalisiert, etwa vom italienischen Premierminister Draghi. Immer neue Invektive gegen „Verweigerer“ werden erfunden, ich erspare mir die Aufzählung.

Olaf Scholz, Nachfolger der großen Corona-Managerin Merkel, bekannte öffentlich, er habe sich wie viele andere Bürger als „Versuchskaninchen“ piksen lassen; zum Vorbild wurde er dadurch nicht. Stattdessen gehen immer mehr Bürger friedlich protestierend gegen eine Impfpflicht auf die Straßen, die Scholz und andere Piksempfänger als Kandidaten vor der Bundestagswahl 2021 ausgeschlossen hatten.

Egal welcher Partei die Freunde der Zwangsimpfung angehören – ihr Ziel ist deutlich dasselbe: Eine nur bedingt zugelassene Vakzine fragwürdiger Wirkung, die vor allem bei jüngeren Menschen gesundheitliche Schäden verursacht, soll um jeden Preis zu 100% durchgesetzt werden. Das ist der letzte Schritt in der ganzen Serie von Maßnahmen, mit denen – dazu bekannten sich ranghohe Politiker immer unverfrorener – die Kontrollgruppe des Menschenexperiments aus den Statistiken verschwinden sollte. Die Lüge von der „Pandemie der Ungeimpften“ ist längst aufgeflogen. Doppelt, selbst dreifach „Gepikste“ infizieren sich und andere mit Varianten von SARS-CoV-2, ihr Anteil in Hospitälern und auf Intensivstationen ist beachtlich, ebenso die Zahl an “Long Covid” Leidender. Im Wechsel von Aufreger und Tranquilizer verabreichen regierungstreue Medien den Bürgern rund um die Uhr in Nachrichten, Kommentaren, Talkshows statistische Verwirrspiele, dazu einen Cocktail aus repressiven Maßnahmen, die sich weltweit als fürs Infektionsgeschehen wirkungslos erwiesen haben, Lockerungen, falschen Versprechen – die Verwertung in dramatischen Filmen und Serien ist abzusehen.

Es hat trotzdem nicht geklappt, mit dem „Freipiksen“. Aber die Deutungshoheit über Einschränkungen der Grundrechte – sowohl was die Selbstbestimmung über den eigenen Körper wie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit betrifft – sollen der Exekutive, parteipolitisch konditionierten Parlamentariern und den ihnen hörigen Medien vorbehalten bleiben – möglichst für immer. Dank des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) ließen sich in Deutschland dafür auch milliardenschwere globale Konzerne wie Facebook, Google, Twitter… in Dienst nehmen. Andere Regierungen griffen das Gesetz dankbar auf – der lupenreine Demokrat Erdogan etwa. Seltsame Allianzen finden sich zusammen, ihre Macht gegen oppositionelle Kräfte zu schützen: Autokraten, Pharma- und Internetkonzerne, globale Organisationen wie die WHO.

Eine Verschwörungstheorie? Eher Hinweise auf eine Mischung aus Anmaßung und Unvermögen bei den Verantwortlichen. Sowohl die undurchschaubaren Manöver mit Daten von Tests, Impferfolgen und -schäden wie der Eifer, mit denen die wahrscheinliche Herkunft des Virus aus „Gain-of-Function“-Experimenten amerikanischer und chinesischer Wissenschaftler in Wuhan vernebelt wurde, bezeugen mit klarer werdender Sicht auf Vorgeschichte und Hintergründe, was vorging. Lange vorm Covid-19-Ausbruch spielten höchstrangige Politiker, Forscher, Medienproduzenten Szenarien eines solchen Ausbruchs durch. Sie verhandelten über später bei den Corona-Maßnahmen angewandte Strategien, einschließlich deren medialer Begleitung: Die Panik war Programm, die Angstmache bis ins Detail simulierter TV-, Radio-, Pressemeldungen ausgeschmückt, die Vorgehensweise professionell geplant.

Ausgerechnet Deutschland und Österreich exekutierten die “Plandemie” in der Praxis besonders gründlich. Ist es ein Zufall, dass neben Angela Merkel, die bekanntermaßen immer mehr supranationale – also “europäische”, gar globale – Lösungen als “alternativlos” anstrebte, nun der kanadische Premier Justin Trudeau zu härtesten Mitteln greift, jene in die Knie zu zwingen, die sich gegen digital bewehrte Attacken auf Persönlichkeitsrechte wehren? In Kanada formierten sich Trucker zum „Convoy of Freedom“, weil sie sich nicht Kontrollmechanismen unterwerfen wollen, die in China üblichen “Social-Credit”- Systemen verdächtig ähneln. Trudeau gehört ebenso zu den von Klaus Schwab geadelten “Young Global Leaders” wie Emmanuel Macron, Jacinda Ardern (MP von Neuseeland), Jens Spahn, Annalena Baerbock, dazu Führungsfiguren von global agierenden „NGO“, der Informationsmächte Google, Facebook, Wikipedia und andere mehr.

Unterm Banner weltumspannender Menschenfreundlichkeit arbeiten sie an der “Großen Transformation”, die Bürgerrechte zu ihren Gunsten einebnen möchte. Sie würde etwa die WHO ermächtigen, das Vorgehen à la “Plandemie” über nationale Gesetze zu stellen. Auch der UN-Migrationspakt lässt erkennen, wie Schutzrechte nationaler Verfassungen für das Individuum gegenüber staatlichen Maßnahmen verschwänden. So wären kritische Stimmen von Wissenschaftlern, Medizinern, Journalisten, zu ersticken: Die informelle Macht läge fast ausschließlich in den Händen einer “Elite”, die heute schon über eine unvorstellbare materielle Macht ihnen gegenüber gebietet. Sie wäre unanfechtbar, käme es zur Zusammenarbeit mit China: In dem dort vorexerzierten System gesellschaftlicher Kontrolle ist die Bevökerung zur Manövriermasse deklassiert.

In der Literatur und im Film sind das Aufkommen, die gewaltsame Behauptung, gelegentlich der Untergang solcher Herrschaftsformen eindrucksvoll beschrieben. Sie scheitern allerdings daran, dass sich in die Zukunft nur sehr begrenzt hineinregieren lässt – ebenso wie sich eine Welt ohne Naturkatastrophen, tödliche Krankheiten, Altern, Ungleichheit und – ihr zugrunde liegende – qualitativ, nicht quantitativ bedingte Konflikte herbei-impfen lässt: egal ob mittels Indoktrination oder “One-Size-Fits-All”-Medikamenten. Wer es versucht, muss separieren, isolieren, entrechten, gleichschalten, unterdrücken, wo immer sich Widerstand regt. Das wurde in der Geschichte immer wieder versucht, es endete im habituellen Größenwahn, der den Handelnden – egal ob Führungsfigur, Handlanger, Mitläufer unerschütterliche Macht vorgaukelte. Hinweise darauf, dass dieser Größenwahn sich mit irgend einem wunderbaren Arkanum aus Menschenhand heilen ließe, gibt es nicht. Und der liebe Gott ist auf pharmazeutische Dienste so wenig zu verpflichten, wie auf Pläne geistlicher und weltlicher Eroberer. Er hilft erfahrungsgemäß nur bei deren Bestattung und beim Auferstehen aus Ruinen.

Der Artikel ergänzt den zuerst am 25. Februar 2022 im Globkult-Magazin erschienenen.

Pandemischer Besuch

Der Tod mäht in der Cholera Menschen nieder. Illustration aus Le Petit Journal Ende des 19. Jahrhunderts
Seuchenangst und Politik

Mit dem Virus kommt der Gevatter
Lupft den Zylinder und sagt: „Grüß Gott!
Habe die Ehre, Herr Wichtigmann,
wir treten jetzt eine Reise an“.
Geimpft und geboostert fühlst du dich sicher
Der meint nicht mich, erst ist ein anderer dran.
Du greifst zum Imfpass, doch die Seiten sind leer
Und auch beim I-Phone rührt sich nichts mehr.

„Moment mal“, fragst du den knochigen Gast,
„kann es sein, dass du’s etwas zu eilig hast?
Da sind ein paar Leute, die sind nicht geimpft
Die hole!“. „Ja“, sagt der Tod, „sonst werd ich beschimpft.
Doch der Impfpass bewahrte noch keinen vorm Sterben
Mag die Pharmalobby noch so sehr werben.
Ob an oder mit – ist dem Virus egal
Mir auch, mein Freund. Du hast keine Wahl.“

Sollst du nun lachen oder angstvoll erschauern?
Du bist dir gar keiner Krankheit bewusst.
Der Pieks ging ganz glatt – und Du hast ja gemusst.
Also sagst du: „Sehr geehrter Herr Tod
Ich war solidarisch. Ich hielt das Gebot
schützte mich und die andern vor schwersten Leiden!“
„Mensch“, nölt das Gerippe, „bloß nicht zu bescheiden.
Was du getan hast, verdient jedes Lob
Das weiß, wer je eine Statistik erhob.
Du bist dem Staat eine wertvolle Nummer
Machst auch den Medien keinerlei Kummer.
Du sorgst dafür, dass die Mühlen mahlen
Klar: soll’n doch die Ungeimpften bezahlen“.

„Das geht mir nun wirklich zu weit mein Herr
Ich folg‘ der Regierung ich denke nicht quer
Und doch hab ich nie irgendwen denunziert.
Von Wissenschaftlern ward ich geführt.“
„Drum eben“, lächelt das Knochengesicht,
„bist du mir so besonders wichtig.
Leute wie du machen alles richtig.
Ich nehm‘ dich mit, weil du dazugehörst
Und auf das solidarisch Sein schwörst.
Als Sterbefall bist du ein wichtiger Teil
der nächsten Kampagne für bessere Vakzine
auf dass Elite weiter verdiene:
Minister, Konzernchefs, die ‚Wissenschaft‘
Ohne Angst vor mir – wo wäre ihre Kraft?
Sie schützen vor jeglichem Ungemach
Versprechen’s davor, vergessen’s danach.

Nun Kopf hoch, mein Freund, die Sense ist scharf
Kein Trotz und Geschrei, wenn ich bitten darf.
Als Vorbild beim Impfen warst du im Glied
Jetzt hoffe nicht auf den Unterschied.“
Es saust die Sense, die knochigen Arme
Schwingen nach vorn: „Dass Gott sich erbarme!“
Kannst du noch schreien, dann bist du wach.
Dein Hauptabteilungsleiter sagt: „Guten Tach
Wünsche wohl zu ruhen, Herr Wichtigmann
Gelobt sei, wer den Büroschlaf ersann.
Nun sei’n Sie hübsch fleißig, ich wüsste zu gern —
Wenn sie so wollen ‚im Namen des Herrn’—
Was über Ihre Verlässlichkeit.
Für etliche Leute ist es soweit:
Wer, statt sich impfen zu lassen, herumspaziert
Corona leugnet und andre verführt
Dasselbe zu tun, der gehört in die Akten.
Es muss endlich Schluss sein mit diesen Beknackten.“
Spricht es, winkt dir „Habe die Ehre!“
Und hinterlässt eine ziemliche Leere.

Du sitzt vorm Computer und fragst dich entsetzt
Wird nicht dein Recht aufs Gröbste verletzt
Wenn der Tod gänzlich ungeimpfte Personen
Weil sie nicht erfasst sind, einfach vergisst
Während du – trotz Boostern nach -zig Mutationen –
Ohne vollständigen Impfschutz bist?
Die Impfpflicht muss her, Codes und Listen, nur munter
Der Staat soll gelobt sein, er setzt sie um.
Wer nicht funktioniert, der geht eben unter
Wichtigmann nicht. Der ist schließlich nicht dumm.

Glück ist, wenn man trotzdem lebt

Friedhof in Gernsbach
Friedhof in Gernsbach

Wir erleben den vierten Sommer nach der Katastrophe. Wir haben seither wieder viele gemeinsame Spaziergänge im Schwarzwald unternommen – nicht mehr so weit, nicht mehr mit großen Höhenunterschieden – und waren mehrmals am Bodensee. Das Leben ist intensiver geworden, die Zweisamkeit zum wichtigsten Wert. Wir bewegen uns gemeinsam ohne Rollstuhl, Rollator, Gehhilfen. Gute und schlechte Tage wechseln, das ist normal, wenn man alt wird und sich „Die Leiden unserer Sterblichkeit“ (so der Titel einer lesenswerten Erzählung von Katherine Anne Porter) einfinden.

Tage, Abende, Ausblicke werden kostbar

Einen Fuß vor den anderen setzen: Das kann ein erhebendes Gefühl sein, wenn jemand aus dem Koma erwacht, nicht weiß, ob jemals wieder aufrecht stehen und gehen möglich, eine verschwundene Körperhälfte spüren mehr als ein Wunschtraum sein wird. Ich durfte meine Liebste auf dem Weg dorthin begleiten: erstes selbständiges Atmen,immer weniger lebenserhaltende Schläuche, erstes Sitzen auf der Bettkante, gestützt von strammen Handtuch-Bandagen, im Rollstuhl an die Sonne und frische Luft. Wilde Erdbeeren auf dem Klinikgelände pflücken und ihre Augen beim Naschen leuchten sehen. Aus dem Rollstuhl in die ermutigenden Trainingsstunden von Physiotherapeuten, denen wir uns nicht weniger dankbar verbunden fühlen als dem Hubschrauberpiloten, Rettungsärzten, Pflegekräften und anderen Medizinern, den fleißigen Helfern in Rehakliniken: Sie haben ihre Kräfte, ihre Freundlichkeit und Geduld in unser Glück investiert. Sie werden nicht angemessen honoriert im Vergleich zu Medienschwätzern und Politbürokraten.

Schwimmen fehlt noch – beinahe der einzige offene Wunsch. Und dass die Schmerzen ausbleiben…

Nächste Woche sind wir wieder am See. Vielleicht beginnt nach dem Urlaub ein neues Kapitel der Rehabilitation, Teil einer Studie, die hoffentlich neue therapeutische Möglichkeiten für viele Menschen erschließt, deren Flügel durch einen Schlaganfall gebrochen wurden. Ihnen allen gute Wünsche und Grüße: Glück ist das Unvergängliche im Vergehen – jeder Augenblick zählt.

Wettlauf der Killer

20170518_BalkonLebenslang musste sich mein Körper mit Gästen beschäftigen. Auch mit sich selbst, und er hat das wunderbar gemacht. Ich darf sagen, dass ich ein Mordsglück mit ihm hatte, ihn mag und gern noch viele vergnügte Jahre mit ihm zubringen möchte. Nicht alle Gäste waren willkommen, manche hatten allzu eigennützige und besitzergreifende Absichten, dann mussten Arzt und Apotheker helfen, die lästigen Besucher loszuwerden. Niemals wird sich feststellen lassen, ob solche gewaltsamen Hinauswürfe – für zahllose Viren, Bakterien, Pilze endeten sie tödlich – nicht auch Schrammen im Organismus hinterließen, die langfristig meine Lebenszeit verkürzen, aber sei’s drum: Auch ohne Arznei war mein Körper in dieser Richtung allzeit wehrhaft, er erwarb Resistenzen, das Immunsystem hat eine Menge Probleme weggeschafft. Es hat weitgehend unbemerkt sogar Krebszellen entsorgt, viele, viele Jahre lang: Ein enormer Berg Arbeit, zahllose Lernprozesse, und jetzt, da das Leben sich immer mehr der Kategorie “Rest” zuordnen lassen muss, bin ich dafür aus tiefstem Herzen dankbar.

Mir ist klar, dass der treue alte Bursche – die Geräusche von Schultern, Knien, Sprunggelenken, Wirbeln etc. legen den Ausdruck „Knacker“ nahe – es immer schwerer haben wird, nicht nur die Attacken aus dem Mikrokosmos abzuwehren, er wird auch wachsende Müllberge seines Stoffwechsels schlechter bewältigen, wird hinnehmen, wenn sich in der reichlich strapazierten Außenhülle beulenförmige Nichtsnutze einquartieren, wird in den Verdauungskanälen unerwünschte Stoffe schwerer beherrschen, wegen mürber Nervenbahnen später und weniger zuverlässig reagieren, kurz: Er wird schwächer werden, verletzbarer, während die Schmarotzer an Zahl und Diversität zunehmen. Ihnen ist egal, dass sein Tod fast immer auch den ihren zur Folge hat – sein Ende ist gewiss. Nur der genaue Zeitpunkt und der Name dessen, der den entscheidenden Treffer setzt, bleiben im Dunkel, es sei denn, Gerichtsmediziner sind gehalten, behufs gerichtlicher Auswertung einen Killer namhaft zu machen. Dann ist das Rennen aber längst gelaufen.

Hier nun stellt sich die Frage, ob ich in diesen voll entbrannten Wettlauf der Killer eingreifen sollte, und – wenn ja – wie. Ganz einfach werden Sie sagen, gehen Sie zu einem Arzt, lassen Sie sich gründlich checken, tun Sie etwas gegen erkannte Probleme und leben Sie fortan gesundheitsbewusster. Ein paar Dinge sprechen dagegen:

  • „Wer als gesund gilt, ist nur nicht genau genug untersucht“, hat irgendwann ein abgeklärter Weiser des Medizinbetriebs gesagt, und das trifft mit sehr, sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu
  • Ärzte werden entweder reich, weil sie brillant sind – dann haben sie andere Patienten als ich es bin – oder reich,  weil sie nicht brillant, aber versiert im Umgang mit bürokratischen Verhältnissen und Geldmaschinen sind, dann könnte es sein, dass sie mich besonders genau untersuchen und manches behandlungsbedürftig finden, womit mein Körper ganz gut alleine zurechtkäme. Ich habe solche zum Glück kaum kennengelernt, aber es soll sie geben, anders ist das Wachstum von Kontrollmechanismen und der Gesundheitsbürokratie kaum erklärbar. Das Wort „Krebswachstum“ drängt sich auf. Ärzte schließlich, die brillant aber nicht reich sind, gelten als aussterbende Spezies. Ich verdanke ihnen viel, vor allem, weil sie erkannten, wann sie wirklich meinem Körper zu Hilfe kommen mussten. Sie haben ebenso wie die schlecht bezahlten Pflegeberufe ein Nachwuchsproblem.
  • Die Wissenschaft tappt bei einer auf die individuelle Biographie von Patienten zielenden Medizin noch weitgehend im Dunkeln, das ist kein Wunder, denn sie sprengt alle von der Bürokratie vorgegebenen Budgets. Wo sie es versucht – folgerichtig bei den größten Killern wie dem Krebs – werden Therapien schnell unbezahlbar. Nur sehr, sehr Reiche oder Mächtige dürfen also auf Heilung hoffen, wo Ärmere einfach sterben. Böse Kenner des Fürsorgestaates nennen das „sozialverträgliches Frühableben“.

Letzteres überlasse ich gern Leuten, die Anderen vorschreiben, wie sie gesundheitsverträglich zu leben haben, damit die Sozialkosten gedeckelt werden können. Ich kenne einige, die damit unerschütterliche Heilslehren für die Welt verbinden. In der Regel ist ihre eigene Versorgung mit ärztlichen Leistungen brillant. Ob ihre Lebensfreude größer ist als meine, sei dahingestellt – ich bin wieder bei meinem Körper und seiner Biographie voller Freuden und: Wunder!

Weniger ist es nicht, was in diesem Kosmos molekularen, mikrobiologischen, physiologischen, psychischen Geschehens im Laufe der Jahrzehnte ablief und jede Sekunde abläuft. Auf bis zu drei Kilogramm wird die Masse der Kleinstlebewesen veranschlagt, die unser Dasein jederzeit teilen. Und unter ihnen gibt es – wie überall sonst in der Welt – neben Fressen und gefressen Werden, neben Konkurrenz und Verdrängung auch Symbiosen, Lernprozesse, Anpassung und Integration. Helfen nicht manche Viren dem Immunsystem, neue Strategien zu entwickeln, ohne dass wir es merken? Vom Mikrokosmos genetischer und epigenetischer Dynamik ist so viel oder so wenig bekannt wie vom Universum. Der Wissenschaft gehen die Rätsel nicht aus, eher die Mittel. Zu beobachten ist, dass ihre Grenzen weniger vom Forscherdrang als von Geldmaschinen und Bürokratie gesetzt werden.

Die Lust am Spiel ist nicht gealtert

Seltsamerweise beunruhigt mich das umso weniger, je älter ich werde. Ich habe meinem wundertätigen Körper viel Auslauf gegeben, lustvoll drauflos gelebt, und die Naturwissenschaften haben mich gelehrt, dass die auf Sicherheit programmierte Mechanik von Geldmaschinen und Bürokratie, Planwirtschaft und Heilslehren es verdienen, radikal in Frage gestellt zu werden. Wenn ich Grenzen überschritt, erwies sich das meist als großes Glück, jedenfalls als unschätzbare Erfahrung. „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“, sagt Erich Kästner. Konflikte waren so unvermeidlich wie förderlich. Für den Rest meines Lebens werde ich also auf meinen Körper hören wie bisher, so wenig wie möglich Zeit in Wartezimmern, Krankenhäusern, Reha-Einrichtungen verbringen. Es sei denn, ich kann dort Menschen mit Literatur Vergnügen machen und sie ermutigen: Im Wettlauf mit den Killern, in der Beschränktheit des „Gesundheitswesens“.

 

Einsame Größe, Netzwerk fürs Leben: Die Pilze

Titelbild zu "Das geheimnisvolle Leben der Pilze"

Kein Lexikon oder Bestimmungsbuch: Eine Expedition

Wer das Staunen nicht verlernt hat, für den ist dieses Buch ein Fest. Robert Hofrichter hat das Verwundern seiner Kinderzeit über Artenreichtum, Formenvielfalt und delikaten Geschmack der Pilze zum Beruf gemacht: Er ist ein leidenschaftlicher Pilzforscher geworden. Er hat dabei, obwohl er über wahrhaft erschöpfende Kenntnisse verfügt, die Neugier ebenso bewahrt wie seine Entdeckerfreude – über die eigenen Arbeiten hinaus. Damit hat er mich derart angesteckt, dass ich unmöglich sagen könnte, welches der 16 Kapitel mich am meisten gefesselt hat.

Hofrichter führt seine Leser durchs unterirdische Reich der Mykorrhiza, wo die Wurzeln der Pflanzen von Pilzen umwoben werden, manche sogar Pilzfäden in ihr Inneres aufnehmen: Beider Stoffwechsel ergänzen einander – „bis dass der Tod sie scheidet“. Tatsächlich ist dieses Sachbuch voller Poesie, und zwar völlig kitschfrei und ohne anthropomorphe Sperenzchen. Sein sympathischer Grundton ist die Liebe des Autors zu seinem Gegenstand: Pilze sind ihm exemplarisch für das große, kostbare Geschenk des Lebens. Er erzählt, wie er seine Frau auf einer Pilzwanderung kennenlernte, wie beide alljährlich das Wachsen und den Wandel dieser eigenartigen Wesen verfolgen, er reist mit uns über Kontinente, durch Wüsten und Meere, er reist Jahrmillionen zurück in die Entwicklungsgeschichte oder in die Steinzeit, als „Ötzi“ den Zunderschwamm, einen Baumpilz, zum Feuer machen und als Heilmittel nutzte. Die alltägliche Begegnung mit dem Speisepilz verbindet er mit kulturhistorischen Anekdoten über Giftmörder, er kennt sich mit Pilzen im Schamanismus, in Traditioneller Chinesischer Medizin (TCM) so gut aus wie in der Mikrobiologie, er zeigt, wie Blattschneiderameisen und Termiten lange vorm Menschen Pilze züchteten. Wir erfahren beim Lesen etwas über die Systematik der Biologie, und wie sie durch immer neue Erkenntnisse von Pilzen – etwa über Flechten – umgewälzt wird. Hofrichter erzählt das alles unangestrengt und unterhaltsam. Das kann nur einer, der gleichermaßen für seine Wissenschaft, fürs Schreiben und die Pädagogik begabt ist. Er verbindet Detailschärfe mit souveränem Überblick.

Zu dieser Befähigung gehört auch, wie er seine Quellen nutzt: Hofrichter bindet Zitate geschickt ein, merkt sorgsam an, bekundet historischen und zeitgenössischen Forschern seinen Respekt. Register und Fotos werden viele Pilzsucher anregen. Zum Schluss, nachdem er Arten- und Formenreichtum der Pilze,  ihr Miteinander mit anderen Lebensformen und den unschätzbaren Wert für die Natur und uns Menschen noch einmal gewürdigt hat, schaut Hofrichter in die Zukunft: Da bleibt unendlich viel zu erforschen, nicht nur was die Eigenarten der Pilze, sondern auch was ihre Rolle in der Biotechnologie und Ökologie anlangt.

Ich gestehe, kein unvoreingenommener Leser zu sein, denn ich bin von Kindesbeinen an „Pilzfan“. Das heißt: Publikationen zum Thema lese ich womöglich besonders kritisch. Wer Kindern Natur und Naturforscher nahebringen möchte – egal ob als Eltern, Lehrer oder in einer Organisation – darf sich getrost diesem Buch anvertrauen, denn es beweist, dass Unverstandenes, Unbeachtetes, Seltsames, auch Irrtümer die Arbeit des Forschers leiten – nicht das quotenverstärkt Banale und das vermeintlich am besten Verkäufliche. In diesem Sinn wäre ihm ein weniger werbeschwülstiger und einfallsloser Titel zu wünschen gewesen.

Robert Hofrichter „Das geheimnisvolle Leben der Pilze – Die faszinierenden Wunder einer verborgenen Welt“, Gütersloher Verlagshaus, 240 Seiten, 19,99 €

Schlafen… träumen…

IMG_0317Wie kostbar diese jenseitigen Welten sind. Das Bewusstsein befasst sich dort nur noch eingeschränkt mit unmittelbaren Reizen; es wird vom Unbewussten, vom Erinnern, von Wünschen und Ängsten bewegt. Es muss ihnen folgen in gegenstandslose, phantastische, manchmal furchterregende Geschehnisse. Was im Alltag nicht zu merken ist – dass hinter Entscheidungen nur selten vernünftiges Abwägen steht – wird hier und jetzt universelles Programm. Alles ist möglich. Es muss nur einen Kondensationskeim geben, an den sich chaotisch schweifende Erinnerungen anlagern können, egal ob sie frühkindlichem Erleben oder einer Fernsehserie entspringen. Von diesem Keim aus vernetzen und verweben sich Landschaften, Figuren, Situationen innerhalb von Hundertstelsekunden. Sie sind flüchtig, aber sie können stärker wirken als real Erlebtes.

Hirnforscher wollen aufklären, was da “wirklich” geschieht. Sie wollen mittels hochpräziser Messung elektromagnetischer, hormoneller, zellbiologischer Abläufe die Traum und Gedankenwelten vermessen. Aber dieses “wirklich”  bedeutet doch immer nur, dass mit apparativ begrenzten Methoden Daten erfasst und Modelle konstruiert werden. Diese Modelle müssten in irgendeiner Form verifizierbar sein – etwa indem man aus mit ihrer Hilfe entworfenem elektromagnetischen Geschehen einen vorhersagbaren Traum entstehen ließe, also – wie im Film „Inception“ – bewegte Bilder ins Traumgeschehen einspielte, dem der Träumer nicht entfliehen kann.

So etwas ist Wunschvorstellung aller Despoten, Geheimdienste, vieler Produzenten mehr oder weniger schlechter Sci-Fi-Texte, Filme, Spiele. Vermutlich steckt schon viel Geld in einschlägigen Forschungen. Ihre Konsequenzen gehen – was ökonomische und politische Macht anlangt – über Kernkraft, Gentechnik, IT und Internet hinaus. Sie verschärfen alle Fragen nach menschlicher Verantwortung bis tief ins Persönliche. Aber stirbt infolge solcher “digitaler Transparenz” des Individuums nicht jedes Vertrauen, sogar das zu sich selbst?

Einstweilen freue ich mich an allen Abenteuern, zu denen ich ins Universum der Träume eingeladen – oder sollte ich besser sagen: entführt? – werde. Manchmal freue ich mich auch, von dort unversehrt zurückzukehren in eine Realität voller Überraschungen. Gott sei Dank wird sie sich nie ganz kontrollieren lassen, und das bedeutet: überhaupt nicht.

Olympiafeuer für Putins Krieg?

Strandpavillon in SotschiEtwas unheimlich erscheint Vielen – selbst in der Wolle gefärbten Olympiafans –, dass im Reich der sibirischen Kälte ausgerechnet ein subtropischer Ort für Olympische Winterspiele ausgewählt und mit monströsem Aufwand für die große Material- und Dopingschlacht hochgerüstet wurde. Aber die Geldmaschinen dröhnen, die medialen Nebelwerfer blähen und schwülsten das Abstruse, Widersinnige zum Megaevent im Dienste der Völkerverständigung; “kritische Stimmen” dürfen sich vernehmen lassen – sie gehören zum Geschäft, solange sie’s nicht verderben.

Selbst aus den Reihen dieser Kleinlauten und Versprengten ist – wieso eigentlich? – keine Überlegung laut geworden, die bei Putins Entscheidung für Sotschi den Ausschlag gegeben haben könnte: Dass der ehemalige KGB-Offizier diese Auswahl nicht trotz der islamistischen Terrorgruppen im Kaukasus traf, sondern wegen.

Ist das eine allzu infame Unterstellung? Wirklich? Oder legen nicht schon die Ereignisse vom Dezember den Gedanken nahe, Putins Regime könnte den Terroristen einen “Honeypot” in Form der Spiele serviert haben, um seine Abwehrstrategie zu fokussieren, sie gleichzeitig durch die besorgte internationale Öffentlichkeit legitimieren zu lassen?

Wer es immer wagte, “die Spiele von Sotschi” zu attackieren, lieferte dem “lupenreinen Demokraten” und seinem Sicherheitsapparat die Rechtfertigung, in der Kaukasusregion mit äußerster Härte zurückzuschlagen. Und dass dort – wie in ganz Russland und im gesamten Einflussbereich Moskaus – die Geheimdienste bereits vorarbeiten, bedarf keiner besonderen Hellsichtigkeit. Auch nicht, dass dabei der Terrorangriff auf die Spiele von München 1972 samt seinem Medienecho lohnendes Studienobjekt waren.

Wetterwut und Klimawahn

2013-05-12 14.16.15Dass wir ein trübes, graues und niederschlagsreiches Jahr erleben, ist nicht ungewöhnlich. Aber es fordert den gewöhnlichen Voluntarismus heraus. Es empört ihn. Er hat sich an den Gedanken gewöhnt, die Welt, also auch Wetter und Klima, ließen sich nach seinen Wünschen einrichten. Die Natur hat sich gefälligst auf Wochenenden, Brückentage und Urlaubsplanungen einzustellen. Schlechtes Wetter darf stattfinden, wenn Mensch einer – oft mit Verdruss ausgeübten – Erwerbstätigkeit nachgeht, wenn also Sauwetterzeit nicht Freizeit ist. Diese Freizeit ist des modernen AnGestellten Heiligstes, schon der Nachwuchs wird in den Schulen entsprechend konditioniert.

Entlockt ihm die Drohung, das Industriezeitalter, dem er Wohlstand, Gesundheit und eine stark erhöhte Lebenserwartung verdankt, münde in eine Klimaerwärmung, nur ein Lächeln, da sie ja den Ostseeurlaub dem auf Mallorca gleichstellt, wecken kalte Wintertage seine Spottlust gegenüber den Propheten der Potsdamer Klimakirche mit Erzbischof Schellnhuber an der Spitze, so werden ihm doch Wochen mit undichten grauen Wassersäcken am Himmel zur Seelenqual. Kein Grillabend, nirgends.

So etwas empört alle. Der Einzelhandel gerät aus dem Rhythmus der Grillkohle- und Schlussverkäufe, Gastronomen leiden Not, Energiepreise steigen, Spargel und Erdbeeren sind teuer und geschmacksarm, Depressionen werden endemisch. Nur eines ändert sich nicht: die Massen von Müll wachsen und verwandeln als Abgase, Abwässer, Abfalldeponien,  Lichtverschmutzung unseren Planeten in einen unheimeligen, gar unheimlichen Ort. Immer weniger Reservate taugen, dem Urlaubenden ein Gefühl heiler, sonniger Natur (“Die Sonne schickt uns keine Rechnung!”) vorzugaukeln – sich dorthin zu flüchten, wird zum Privileg der Superreichen.

Tiere und Pflanzen haben’s leicht: Sie passen sich an oder sterben aus. Das will der Voluntarist nicht. Er sucht sein Heil bei Windmühlen, Solarzellen, E-Mobilen. So kann er weiter produzieren, verkehren, verzehren. Dass Windmühlen, massenhaft in die Landschaft gestellt, die Energieflüsse der Atmosphäre verändern, dass Hoch- und Tiefdruckgebiete bei derart veränderten Randbedingungen sich umgestalten, so dass Wolkenzüge womöglich nicht mehr abreißen, dass Europa, Ort sauberer Fabriken, seine weniger sauberen Fertigungsstätten für Solarmodule, seinen exorbitanten Ressourcenverschleiß, seinen Müll überallhin exportiert, ist dem vom Regen gequälten Moralökologen Tofu. Wurst ist ihm verdächtig, der eigene Verschleißanteil an Natur nicht. Er will bleiben wie er ist: Die Umweltschweine sind die anderen. Also sollen gefälligst die Chinesen, Inder, Indonesier, Brasilianer darauf verzichten, europäischen oder US-amerikanischen Lebensstandard zu erreichen. Sie machen schließlich den meisten Dreck und Kernkraftwerke betreiben sie obendrein.

Und jetzt kommt’s: Die Natur spielt dabei einfach nicht mit! Ausgerechnet den Saubermännern verhagelt sie die Freizeit! Dabei war es doch so wunderbar, Opfern von Hurricans, Tornados, Tsunamis, Fluten, Waldbränden, Erdbeben mit überreicher Barmherzigkeit zu demonstrieren, dass Wohlstand mit überlegener Moral einhergehen kann, wenn nur die richtigen Weltbilder den Blick auf die Müllberge, Gaswolken, Giftströme verstellen, die vom eigenen Territorium in entlegene Weltgegenden verschoben werden! Was tut die Natur? Sie bestraft das gute Gewissen durch Monate schlechten Wetters! Und niemand spendet für die tiefdruckverfolgten Deutschen!

Da kann doch irgendetwas nicht stimmen!

Der menschliche Kosmos – Kapitel 3 (1)

Ab heute online im Weblog zum Buch: das überarbeitete und etwas erweiterte Kapitel über
Die Entdeckung und Verstellung des Körpers:
Wie durch „Objektivität“ dem Leib die Seele und dem Diskurs der Sinn ausgetrieben wird. Das Elend der Schulen.

Die Grinsekatze aus "Alice im Wunderland"
Die Grinsekatze aus „Alice im Wunderland“

Als Kind bewunderte ich die Katze unserer Nachbarin, weil sie auf die Klinke der Küchentür springen konnte und sich so ohne menschliche Hilfe die Tür öffnete. Die Katze verfehlte die Klinke nie. Sie fixierte vom Boden aus ihr Ziel, spannte ihre Muskeln, wobei ihr ganzer geschmeidiger Körper sich wie eine Faust zu ballen schien, sprang und balancierte genau jene halbe Sekunde lang auf dem Griff, bis ihr Gewicht ihn nach unten gedrückt hatte. Bevor sie von der schräg stehenden Klinke abrutschen konnte, war sie schon auf allen Vieren gelandet und verschwand mit erhobenem Schwanz im Flur.
Weder hatte jemand der Katze das Kunststück beigebracht, noch wusste irgendeiner, ob und wie viele Fehlversuche nötig waren, bis das gewitzte Tier es beherrschte. Niemand hatte sie üben, noch beim Sprung auf die falsche, äußere Klinke der Tür scheitern sehen. Auf jeden Fall aber lief das Türöffnen mit einem unglaublich präzisen Gespür für Rhythmus und räumliche Koordination ab, und soviel ist sicher: bevor die Katze sprang, war das gesamte ebenso komplexe wie stimmige Bewegungsprogramm ihrer Nerven, Sehnen und Muskeln fertig. Sie antizipierte das Ergebnis des Sprunges – die Landung auf der Klinke – und dann startete sie.
Auch Menschen – z.B. Artisten – erstaunen uns mit Leistungen körperlichen Antizipierens. Das setzt eine besonders gute Wahrnehmung, innere Koordination und physische Kraft und Beweglichkeit voraus. Antizipation ist aber eigentlich etwas so Alltägliches, dass normalerweise niemand darüber ein Wort verliert. Bei jedem Aufstehen von einem Stuhl läuft ein komplexes Bewegungsprogramm ab und es würde Wahrnehmungsfähigkeit und Konzentration überfordern, alle die dabei ablaufenden Muskelspannungen und -entspannungen jede für sich einzeln zu initiieren.
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Der unvermeidliche Vorgriff

Demnächst veröffentliche ich im Weblog zum Buch die überarbeitete Fassung von “Der menschliche Kosmos”, Kapitel 3, Darin spielt der Begriff der Antizipation eine wesentliche Rolle. Gemeint ist das seltsame, aber messbare Phänomen, dass Gehirn und Körper mit einer Handlung längst fertig sind, wenn wir darüber zu entscheiden meinen. Der Quantenphysiker Nils Bohr hat das anhand eines Duells mit Spielzeugpistolen seinen Mitarbeitern einmal veranschaulicht: Wer zuerst schoss, verlor meistens, wer nur reagierte – natürlich Bohr selbst – war schneller. Der Spaß ist inzwischen experimentell untermauert. Während der erste bewusst entscheiden musste, antizipierte der zweite die Aktion. Tennisspieler, Squasher und andere Ballspieler kennen das Phänomen unterm Schlagwort “Wer denkt, hat verloren”.

Die Antizipation ist schneller, aber auch mit mehr Fehlerrisiko behaftet, salopp gesprochen “quick and dirty”.

Wie unvermeidlich wir im Alltag antizipieren, also Urteile fällen und Entscheidungen treffen, ohne für komplexe Sachverhalte auch nur annährend vollständige Informationen zu haben, geschweige sie bewerten zu können, zeigt sich besonders, wenn wir Menschen einschätzen. Der “erste Eindruck” (“quick”) prägt unser nonverbales Verhalten augenblicklich. Begrüßungsrituale, Konventionen der kulturell geprägten “display rules” verhindern, dass es in der Folge “dirty” wird und zu schwer korrigierbaren Zusammenstößen kommt.

Bei Nietzsche findet sich dazu in “Menschliches Allzumenschliches” ein interessanter Artikel (32. Ungerechtsein notwendig):

Friedrich Nietzsche ca. 1875“Alle Urteile über den Wert des Lebens sind unlogisch entwickelt und deshalb ungerecht. Die Unreinheit des Urteils liegt erstens in der Art, wie das Material vorliegt, nämlich sehr unvollständig, zweitens in der Art, wie daraus die Summe gebildet wird, und drittens darin, dass jedes einzelne Stück des Materials wieder das Resultat unreinen Erkennens ist und zwar dies mit voller Notwendigkeit. Keine Erfahrung zum Beispiel über einen Menschen, stünde er uns auch noch so nah, kann vollständig sein, so dass wir ein logisches Recht zu einer Gesamtabschätzung desselben hätten; alle Schätzungen sind voreilig und müssen es sein. Endlich ist das Maß, womit wir messen, unser Wesen, keine unabänderliche Größe, wir haben Stimmungen und Schwankungen, und doch müssten wir uns selbst als ein festes Maß kennen, um das Verhältnis irgend einer Sache zu uns gerecht abzuschätzen. Vielleicht wird aus alledem folgen, dass man gar nicht urteilen sollte; wenn man aber nur leben könnte, ohne abzuschätzen, ohne Abneigung und Zuneigung zu haben! — denn alles Abgeneigtsein hängt mit einer Schätzung zusammen, ebenso alles Geneigtsein. Ein Trieb zu Etwas oder von Etwas weg, ohne ein Gefühl davon, dass man das Förderliche wolle, dem Schädlichen ausweiche, ein Trieb ohne eine Art von erkennender Abschätzung über den Wert des Zieles, existiert beim Menschen nicht. Wir sind von vornherein unlogische und daher ungerechte Wesen, und können dies erkennen: dies ist eine der größten und unauflösbarsten Disharmonien des Daseins.”