Gut geregelt ist halb tot (Schluss)

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Das SED-Emblem und die zur KPD-SPD-Fusion inszenierte Demonstration vom April 1946 auf einer Briefmarke 1966

Unterm Banner des „Antifaschismus“ dirigierte die „Sozialistische Einheitspartei Deutschlands“ – nach weitestgehend erzwungenem Zusammenschluss von Kommunisten und Sozialdemokraten in der Sowjetischen Besatzungszone – die 1949 gegründete DDR, die sich als „das bessere Deutschland“ sah, Richtung Sozialismus. SED-Chef Walter Ulbricht gab die Devise aus „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“ Durchgeregelt. Alternativlos.

Mittels Planwirtschaft war der kapitalistische Klassenfeind im Westen zu überholen, und zwar ohne ihn einzuholen. Auf der Überholspur kam oft etwas dazwischen – vor allem Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Die Fahrtrichtung West wurde rigide eingeschränkt; nur wer den Propheten MarxEngelsLenin, zeitweise auch Stalin oder Mao, treu ergeben war, oder als Rentenempfänger entbehrlich, durfte das Herrschaftsgebiet der Arbeiter und Bauern verlassen. An den für Flüchtlinge tödlichen „Antifaschistischen Schutzwall“ erinnern sich manche noch, auch an die Cherubim mit Betonmaske, die ihn überwachten.

Das Überholen klappte nicht, es herrschte Mangelwirtschaft, dafür gab es einen Überfluss politischer Witze. Der Regelbruch wurde überhaupt zur Regel, anders kam man zu nichts. Nicht mal zu Klopapier. Es gab meistens keins, wenn doch, dann in der Qualität „Mittelfeines Schleifpapier“. Zeitungen mussten die Not auf dem stillen Örtchen lindern, etwa das „Neue Deutschland“, Zentralorgan der Sozialistischen Einheitspartei, kurz „ND“. Sowas wäre heute undenkbar: Zeitungen sind a) teuer und werden b) von keiner Wasserspülung akzeptiert. Von Lesern auch immer weniger.

Trotzdem gilt immer noch die Regel „raue Zeiten – raues Klopapier“. Nicht nur, dass Zellstoff weltweit immer knapper geworden ist: Seit März haben die Russen Lieferungen von Birkenholz eingestellt, das für besonders weiches, flauschiges Tissue benötigt wird. Aber das ist nicht das eigentliche Problem, sondern wir alle sind es. Ist der Verbrauch von Holz im allgemeinen schon zu groß, der Bedarf kaum mehr zu decken, was sich überall auf Baustellen und wo es sonst gebraucht wird, in Engpässen und hohen Preisen niederschlägt, so ist die unmäßige Hygiene der Menschen ein mächtiger Waldfrevel. Sie können das beim WWF und zahllosen Publikationen nachlesen, die Menschen dazu erziehen wollen, weniger Zellulose für die Körperhygiene zu missbrauchen.

Der in jüngeren Jahren als Anhänger Mao Zedongs hervorgetretene Ministerpräsident Kretschmann empfiehlt den Einsatz von Waschlappen. Mein Vorschlag: Stellen Sie sich künftig bei jedem Wisch und Weg das ruckhaft anschwellende Geräusch einer Kettensäge vor! Dann folgen Sie vielleicht dem Rat einer Fränkischen Zeitung, stattdessen lieber kurz die Dusche zu benutzen. Es gab ja auch in einem öffentlich-rechtlichen Medium („Funk“) kürzlich den Hinweis, beim Duschen zu pinkeln – das spare Wasser und Energie.

Hier ein kurzer Blick auf die Praxis der 50er und 60er Jahre im Arbeiter- und Bauernstaat DDR und das Leben in einem Fachwerkbau, der wegen mangelnder Materialien und Handwerker nicht instand zu halten war. Gustav Horbel ist Hauptperson im Roman „Blick vom Turm“ und 1968 gerade 18 Jahre alt.

Fachwerk kurz vorm Abriss. Im Hintergrund die beiden Plumpsklos

„In dem Haus, wo Gustav wohnte, herrschte schon klassenübergreifende soziale Gleichheit. Es war vermutlich zur Zeit der französischen Revolution gebaut worden. Die Wohnungen hatten weder Zentralheizungen noch Bäder, nicht einmal eine Wasserspülung für die Toiletten. Mieter wie Hausbesitzer steckten ihre Hinterteile in eine runde Öffnung über den Miasmen der Jauchegruben — im Sommer bei Hitze im Winter bei Frost — und vernahmen jenes Geräusch, das dem Klo seinen Namen gab. Dass was plumpsen sollte, stecken blieb, gefror und den Bedürftigen Ungemach bereitete, kam nur bei außergewöhnlich strengem Frost vor. Gustavs Mutter griff dann unter groben Flüchen zu einem Eimer heißen Wassers und einem stabilen, mannshohen Knittel aus Buchenholz und setzte die Fallgesetze wieder in Kraft.

Vielleicht war ja die Knappheit an Toilettenpapier sogar von Partei- und Staatsführung gewünscht, weil viele Leute die Zeitungen noch einmal in die Hand nahmen und lasen, ehe die Organe des Zentralkomitees oder der Bezirksleitungen den Weg nach ganz unten antraten. Schließlich wusste jeder bis hinauf ins Politbüro mit dem Ersten Sekretär und Staatsratsvorsitzenden an der Spitze von diesem Alltagsritual. Nur öffentlich darüber zu reden, war tabu. ‚Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.‘ Aber so leuchtete immerhin ein, warum die Herren der Planwirtschaft nicht alles daran setzten, dem Frevel durch vermehrte Produktion von Toilettenpapier zu begegnen.“

Das Leben war nicht sehr komfortabel damals, aber es wurde jedenfalls sehr viel weniger an Wasser, Strom, Holz, Kohle, Eisen und andere Metallen, Gas und sonstigen Grund- und Rohstoffen verbraucht als heute. Soweit ich verstehe, gilt das einer großen Zahl Menschen in bestimmten Parteien oder sonstwie mit Steuergeld und Spenden finanzierten Organisationen als erstrebenswertes Ziel einer künftigen Welt ohne Kapitalismus. Es sind Leute, die in Jahrzehnten wachsenden Wohlstandes und Komforts heranwuchsen, fortwährend in allen möglichen Medien Laut geben und genau wissen, wie andere gefälligst ihren Konsum und ihre Körperhygiene zu reduzieren haben.

Dass ich mir die Verhältnisse von 1968 nicht zurückwünsche – obwohl der Mangel an Wohlstand in wildbewegter, abenteuerlicher Jugend nur eine lästige Begleiterscheinung war – begreifen solche Leute natürlich nicht. Ihre Lebenspraxis beschränkt sich auf den „Diskurs“, den wollen sie dominieren. Die Arbeit dürfen – und das war in der DDR mit ihren Ideologen und Politbürokraten genauso – andere machen. Arbeiter und Bauern zum Beispiel, gern auch unbotmäßiges Gesindel in Gefängnissen und Lagern.

„Herrschende Klasse“ – wie von den kommunistischen Säulenheiligen als Ziel vorgegeben – waren jedenfalls nie die Arbeiter, sondern immer Apparatschiks der Partei, nebst zahllos, ziemlich regellos, dafür sehr korrupt wachsenden „Staatsorganen“, „Massenorganisationen“ – kurz: ein System, das von der unüberbrückbaren Kluft aus – hoch moralischem – Anspruch einer-, wirtschaftlicher und geistiger Insuffizienz andererseits zugrunde ging. Der Mythos von der „Gleichheit aller Menschen“, der praktisch Gleichmacherei, Gleichgültigkeit, Gleichförmigkeit, Gleichschaltung in aller Öde, Hässlichkeit und Armut totaler Regulierung hervorbrachte: er überdauert – wie viele Verblendungen. Das geschieht gerade mit den entsprechend verheerenden Folgen.

Aber da auf allen Wegen dieser Welt die allerwidersprüchlichsten und keiner Gleichverteilung unterliegenden Gefühle immer mitfahren – und sie sich sich auf keine Weise regulieren lassen – bleibt der Teufel im Spiel und der Ausgang offen.

ENDE

Gut geregelt ist halb tot (I)

Das Zeitalter der Mobilität hat uns vom Laufen zum Fahren, zum Rasen, gar zum Fliegen gebracht. Damit diese Fortbewegung von inzwischen Milliarden Menschen nicht fortwährend mit Unglück, Stau, gar Kollaps, Tod und Chaos einhergeht, braucht es Regeln. Es gibt sie, sie wurden und werden fortwährend geändert, angepasst, umgangen und gebrochen.

Verkehrszeichen für Kreisverkehr in Deutschland
Im Kreise geht die Reise…

Dabei gab es ein Wechselspiel: Der Mensch passte die Technik seinen Bedürfnissen an – schneller, höher, weiter, sicherer, komfortabler – neue Regeln mussten her: Gurtpflicht, Tempolimits, Überholverbote, Rettungsgassen. Das Verhalten der sich fortbewegenden Menschen änderte sich nur insofern, als die Regeln Routinen hervorbrachten – etwa das Anlegen des Gurtes oder routinierte Blicke auf Instrumente, Ampeln, Verkehrszeichen, Kreuzungen (rechts vor links), mögliche Blitzer am Fahrbahnrand.

Die Grundimpulse des Menschen blieben indessen fast unverändert: Erlangen und Vermeiden. Ebenso Gefühle wie Liebe, Hass, Neid, Zuneigung, Angst, Furcht, Bewunderung, Erstaunen, Empörung… Sie alle fahren mit. Und wenn ich vom Verkehr spreche, ist er natürlich nur ein Beispiel dafür, wie Menschen im Alltag miteinander „verkehren“.

In den vergangenen Jahren haben wir einen Wust wechselnder Regeln, sich verändernder Begründungen dafür, eine Flut widersprüchlicher Informationen erlebt wie kaum je zuvor. Woran muss, woran kann ich mich halten? – Welche Information trifft zu? Welche Regel hat Sinn? Welche Maßnahme? Wem kann ich vertrauen und – was ist die Wahrheit?

Damit wäre ich beim lieben Gott und beim Teufel, bei der Bibel und einem Verhalten, das sich schon bei den Kleinsten findet: Die Lust, Regeln zu brechen – oder eigene aufzustellen und durchzusetzen. Adam und Eva machten’s vor: Erbsünde, sie wurden aus dem Garten Eden verbannt.

Klar: Bei Gott im Himmel ist die Allmacht er bestimmt die Regeln. Auf den Einspruch von Atheisten hin gebe ich natürlich zu, dass die Regeln des Universums gelten, aber von da an kämen Sie vielleicht zu einem ausschweifenden Text über Relativitätstheorie und Quantenphysik, aber nicht zu einem unterhaltsamen Atikel. Mit Gott, Satan und Regelbrüchen, auch Sünde genannt geht das. Man versteht trotzdem gut, dass Regelbrüche im Umgang mit Naturgesetzen üble Folgen haben können. Wer versucht, die Physik zu bescheißen, riskiert halt Bruchlandungen und Blackouts.

Zurück ins Paradies – zu Gottes Werk und Teufels Beitrag.

Im Bürgerkrieg verwundet, in Revolutionskämpfen 1914 in Mexiko verschollen: Ambrose Bierce

Ambrose Bierce war ein amerikanischer Autor von Kurzgeschichten, sein Humor war tiefschwarz. Manche hielten ihn für einen Menschenfeind; liest einer seine Texte, begreift er, wie ein lebens- und kriegserfahrener, zutiefst Mitfühlender sich in den Sarkasmus rettet. 1911 verfasste er „The Devils Dictionary“. Unterm Stichwort „Satan“ ist zu lesen, dass dieser

„Einer der beklagenswerten Irrtümer des Schöpfers“ gewesen sei, „von diesem in Sack und Asche bereut. Als Erzengel eingesetzt, machte Satan sich vielfältig unbeliebt und wurde schließlich des Himmels verwiesen. Bei seinem Abstieg hielt er auf halbem Weg inne, neigte denkend einen Moment lang das Haupt und ging schließlich zurück. »Eine Gunst möchte ich erbitten«, sagte er.
»Nenne sie.«
»Wie ich höre, ist der Mensch in der Mache. Wenn er fertig ist, wird er Gesetze brauchen.«
»Was, du Wicht! Du, sein berufener Widersacher, seit dem Morgengrauen der Ewigkeit von Haß auf die Seele des Menschen erfüllt — du bittest um das Recht, seine Gesetze zu machen?«
»Pardon; worum ich bitten möchte, ist, daß ihm gestattet werde, sie selbst zu machen.«
So ward es beschlossen.“

Von den Göttern zu Propheten, Majestäten und anderen Obrigkeiten – sie alle hielten sich selbst ungern an Regeln und wussten das auch stets fintenreich zu begründen. Die Menschen konnten sich ihre Herrscher nur selten aussuchen, und selbst dann machte sich Satans List, die Gesetze den Menschen selbst zu überlassen, bemerkbar: Egal ob die Macht dynastisch – also in Familien – vererbt, ob sie durch wie auch immer geartete Wahlen an unterschiedlichste Regierungen gelangte oder einfach mit Gewalt oder durch Korruption angeeignet wurde: sie fiel immer wieder einmal in die Hände von Idioten. In Ambrose Bierce‘ „Des Teufels Wörterbuch“ steht dazu

Idiot, der — Angehöriger eines großen und mächtigen Stammes, der menschliche Belange stets beherrschend beeinflusst und kontrolliert hat. Die Aktivitäten des Idioten beschränken sich nicht auf ein bestimmtes Gebiet des Denkens oder Handelns, sondern durchdringen und regeln alles. Er hat in allem das letzte Wort; seine Beschlüsse sind unanfechtbar; er bestimmt die Mode in Meinungs- und Geschmacksfragen, diktiert Sprachfehler und schreibt ultimativ Verhaltensweisen fest.“

Die Folgen werden in der Litertur oft behandelt, auch bei Goethe, im „Faust, Prolog im Himmel“ während einer Zwiesprache des Herrgotts mit Mephisto:

„Von Sonn’ und Welten weiß ich nichts zu sagen“, erklärt der Teufel, „Ich sehe nur wie sich die Menschen plagen. Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem Schlag, Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag. Ein wenig besser würd’ er leben, Hättst du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben; Er nennts Vernunft und braucht’s allein Nur thierischer als jedes Thier zu seyn.“

Damit wären wir bei einem grundsätzlichen Problem von Regeln angekommen: Der Frage, ob sie vernünftig sind.

Weiterlesen in Teil II

Fliehkräfte aus dem Reich der Mitte

Zwischen Big Money und Big Brother

Ein Bestseller ist dieses Buch schon, nichts fehlt: Politthriller, Liebesgeschichte, Sittengemälde, Familiendrama – alles so ungekünstelt wie glaubwürdig erzählt von einem 1968 geborenen Chinesen. Wie viele andere Autoren wird er seine Heimat schwerlich wiedersehen. Desmond Shum ist aber weder ein Dissident vom Range eines Liu Shaobo, Friedensnobelpreisträger, nur zum Sterben von Xi Jinping aus dem Kerker entlassen, noch ein Liao Yiwu, der mit aufsässiger, rebellischer Poesie, mit Romanen aus den Abgründen Chinas gegen die Kommunistische Partei zu Felde zog – er ist eigentlich ein Muster an Heimatliebe und Engagement, Liebling aller Schwiegermütter, gebildet, groß, sportlich, charmant. Doch er lebt heute mit seinem Sohn in England, seine geschiedene Ehefrau verschwand im September 2017 in Peking spurlos. Ihr einziges Lebenszeichen war seither ein Telefonat mit der flehentlichen Bitte, dieses Buch nicht zu veröffentlichen. Niemand weiß, was Whitney Duang widerfährt im Reich der totalen Kontrolle, im Reich des kollektiven Gehorsams, wo der einzelne Mensch keine Rechte, keinen Schutz vor den Mächtigen hat. Er hat nicht einmal mehr eine Stimme am Telefon, wenn der allmächtige Staat ihn isoliert.

Und damit wären wir bei wichtigen Motiven des autobiographischen Berichts „Chinesisches Roulette“: Bei den globalen Machtkämpfen von Staaten, multinationalen Konzernen und Organisationen, bei den beteiligten Truppen und deren Führern – und beim komplexen Zusammenspiel von materieller und informeller Dimension der Macht. Der Autor zieht seine Leser hinein in die spezifisch chinesische Dynamik dieses Zusammenspiels, zu einigen ihrer Quellen, Wirbel, Turbulenzen, Strömungsverläufe.

Shen Dong – so sein chinesischer Name – wurde in eine Familie mit „schlechtem Hintergrund“ hineingeboren – also verbannt ins Schattendasein unter der Roten Sonne Mao Zedongs. Sie litt Not, die Eltern kämpften als schlecht bezahlte Lehrer in Shanghai ums Überleben, förderten den Sohn mit Lektüre, reichlich Tadel und Prügeln: nicht ungewöhnlich für eine chinesische Kindheit. So wurde der kleine Dong – deutsch „Säule“ – auf vom Vater ererbte Eigenschaften trainiert: Zähigkeit, Hartnäckigkeit, Lebenswillen. Den bewies er, sechs Jahre alt, im eisigen Wasser eines Schwimmbeckens, und das Schwimmen wurde eine seiner Stärken. Die Mutter gab ihm wohl Umgänglichkeit und das Gespür für Menschen mit auf den Weg, Dong ging ihn außerhalb häuslicher Geborgenheit, aber voller Neugier.

Das änderte sich auch nicht, als 1978 zuerst Mutter und Sohn, später der Vater zu Verwandten nach Hongkong ausreisen durften. Der chinesische Staat hoffte auf zurückfließende Devisen aus der Kronkolonie. Tatsächlich schuftet sich Shen sen. im Laufe von sieben Jahren als Transportarbeiter in einem Tiefkühllager empor. Nachdem er nebenher den MBA-Abschluss in Betriebswirtschaft erworben hat, wird er zum Geschäftsführer, verdient in den 90er Jahren für seine – amerikanische – Firma Millionen im China-Geschäft mit Hühnchenteilen und wird als zu Reichtum gekommener Repräsentant Anfang des neuen Jahrtausends nach Shanghai zurückkehren.

Sein Sohn passte sich nicht ohne Probleme an die Schule in Hongkong an, auch dabei half der Sport seinem Selbstbewusstsein auf, schließlich schickten ihn die Eltern zum Studium nach Wisconsin in die USA – zwei Monate nach dem Massaker auf dem Tian `anmen

Mit scheelen Augen sehen sie, wie sich der junge Mann verändert hat, als er 1993 zurückkehrt. Zu eigensinnig und individualistisch erscheint ihnen dieser Desmond Shum mit seiner verwestlichen Kleidung und seinen Plänen. Aber er hat sich für China entschieden, obwohl er mit einer Greencard in den Staaten hätte bleiben können, und der einsetzende Wirtschaftsboom auf dem Festland treibt seinen Ehrgeiz. Er lernt schnell beim Handel mit Zigaretten und Bier für das sino-amerikanische Unternehmen TaitAsia – der Großinvestor ChinaVest hält Anteile – wie Zollschranken und rechtliche Hürden zu umgehen sind. Dass auch ein Marineoffizier der Volksbefreiungsarmee bereit ist, ein Kriegsschiff zum Schmuggel von Bier zu nutzen, überzeugt ihn vom möglichen Umgehen fast aller Regeln in dieser Geschäftswelt – und von der alles entscheidenden Wirkung der guangxi, der Netzwerke aus Beziehungen zu den politisch Mächtigen in China.

Er erlebt hautnah mit, wie der „Rote Adel“ – höchste KP-Führer vor allem aus der alten Garde und deren Söhne und Töchter – sich für den wirtschaftlichen Fortschritt unentbehrlich machen, indem sie Investitionen zulassen oder behindern. Sie werden reich. Die informelle Macht der Nomenklatura bleibt unbegrenzt, eine kritische Öffentlichkeit gibt es kaum, aber gerade das Geschäft mit der boomenden IT- und Elektronikbranche verspricht größte Gewinne, ebenso das mit Immobilien, dem Baugewerbe, … eigentlich mit fast allem, was anderthalb Milliarden Chinesen bis zu Maos Tod vorenthalten blieb. Desmond Shum will dabeisein, wenn der große Aufbruch in ein noch größeres Wachstum übergeht. 1997 wird er Repräsentant von ChinaVest in Peking.

Zu dieser Zeit wachsen die Widersprüche zwischen allgemeiner staatlicher Planung und Leitung, der Praxis einer plötzlich entfesselten Marktwirtschaft und der unangreifbaren informellen Herrschaft der KP so rapide wie die chinesische Wirtschaft. Nicht nur westliche Firmen scheitern an den chaotischen, für Ausländer kaum durchschaubaren Verhältnissen. 

„Die alten Gesetze waren nicht mehr anwendbar. Aber wenn die Partei neue Gesetze entwarf, schufen die Ministerien absichtlich große Grauzonen, damit die Behörden stets die Möglichkeit hatten, missliebige Marktteilnehmer zu verfolgen.“

Willkür, Rechtsunsicherheit, Korruption, geistiger Diebstahl: Nur wer sich hinter den Kulissen auskennt, wer guangxi hat in höchste Ebenen der informellen Macht, kann Geschäfte machen.

Desmond Shum hat Glück. Er lernt 2002 eine Unternehmerin kennen, deren Ehrgeiz seinem gleicht, deren Bildung, Begabung und Charme ihn bestricken: Whitney Duang erfreut sich enger freundschaftlicher Bande zu der ebenso unternehmungslustigen Ehefrau des Premierministers Wen Jiabao. Whitney und Desmond werden ein Paar, ihre Energien vervielfachen sich, aus Projekten werden mächtige Vermögenswerte und – wichtiger noch: sie bewegen sich zwischen stratosphärischem Überblick und detailreicher Kenntnis auf und ab im Gefüge informeller Macht. Das heißt auch: Sie balancieren elegant das für Geschäfte notwendige Ansehen, das Herzeigen prestigeträchtiger Statussymbole und die fürs Überleben wichtige Verschwiegenheit aus; sie verpflichten andere, indem sie mit noblen Geschenken und Einladungen signalisieren „Das seid Ihr uns wert!“, vermeiden gleichzeitig, Konkurrenten, störrische subalterne Beamte und schwierige Klienten zu provozieren.

Der Autor erzählt all das nicht streng chronologisch. Im Strom der Zeit zwischen 1970er und 2010er Jahren steuert er Inseln an: Die Biographien seiner und der Eltern von Whitney, die der Familie Wen und anderer Führungsfiguren, die von Freunden und Kollegen, Geschäftsleuten, Gaunern, stürzenden Funktionären, deren Kindern… Das Elend der Gefängnisse und des Wanderdaseins der unablässig durchs Land migrierenden Arbeiter kommen nicht in Sicht, aber wer hat sie nicht seit den 2000er Jahren in Dokumentationen sehen oder davon lesen können?

In dieser Zeit kulminiert das unternehmerische Leben von Desmond und Whitney. Sie investieren in ein gewaltiges Projekt: Ein Logistikzentrum neben Pekings Großflughafen, den Norman Foster zu den Olympischen Spielen 2008 baut. Der Grundstein wird nach Hürdenläufen durch Behörden, Widerständen untergeordneter Verwaltungen, tage- und nächtelange Marathonberatungen im Netz der guangxi endlich im Juni 2006 gelegt. Wenige Monate später ist es beinahe vorbei: Der staatliche Partner des Joint Venture, der Flughafenchef verschwindet infolge parteiamtlicher Untersuchungen. Da seine Unterschrift für Kredite unerlässlich ist, fehlt plötzlich das Geld.

Aber das Paar scheint vom Schicksal begünstigt. Es macht 2007 mehrere hundert Millionen Dollar Gewinn an der Börse, investiert privates Kapital, und im April 2008 rettet Desmond Shum einem wichtigen Planungsfunktionär während einer Reise in den USA das Leben, was dem Bau am Logistikzentrum enormen Schub bringt: Er wird in die „Familie“ im Stadtteil aufgenommen, verbringt viel Zeit mit Chefs der unteren Etagen, passt sich – wieder einmal – chinesischen Umständen an.

Andererseits führen Whitney und Desmond ein Leben in Saus und Braus auf ausgedehnten Reisen und mit Kaufräuschen im Luxus. 2009 bringt Whitney nach vielen Mühen um eine künstliche Befruchtung in New York den gemeinsamen Sohn zur Welt. Der Vater gibt ihm den griechischen Namen Ariston, und mit dem Kind verändert sich sein Blick auf die Zukunft, nicht nur was eigene Wünsche und Pläne, vielmehr was die Entwicklung Chinas betrifft. Er möchte darin Bedeutsames hinterlassen; das Paar stiftet für die neue Bibliothek der Tsinghua-Universität 10 Millionen Dollar, dazu Stipendien, fördert Kontakte zu Hochschulen in den USA.

Das zwölfte Kapitel leuchtet einiges aus, was Anfang der 2000er Jahre im Staats- und Parteiapparat ablief. Die schroffen Wechsel von scheinbarer Öffnung Richtung Westen, liberalisiertem Kurs in der Wirtschaft, freierem Meinungsaustausch und rigiden, restriktiven Maßnahmen gegen jeden kritischen Gedanken erlebten wir bei unseren Arbeiten fürs deutsche Fernsehen und Radio mit. Wir staunten 2005 in Kunming über mutige, realistische Beiträge beim Internationalen Festival des anthropologischen Films und die folgenden Diskussionen – im Jahr darauf war es verboten und hatte für einige Initiatoren üble Konsequenzen.

Die Doppelherrschaft der bürokratischen Systeme von Partei und Staat im Sozialismus mit ihren Machtkämpfen zwischen ideologischen Strömungen, personellen Verwerfungen, rechtlichen Grauzonen verunsichern alle Triebkräfte der Gesellschaft. Dass Gesetze rückwirkend in Kraft treten scheint hierzulande – noch? – ausgeschlossen, in China war und ist dies üblich. Von heute auf morgen kann als Korruption verfolgt werden, was zum Zeitpunkt des Geschehens noch als legal galt. Unter diesem Damoklesschwert leidet privates Unternehmertum ebenso wie Joint Ventures mit ausländischen Firmen: Die KP und ihr Sicherheitsapparat sind allmächtig und allgegenwärtig. Wann jemand “sein Gesicht” und damit seine soziale Existenz verliert, hängt von der Willkür ihrer Führer ab.

Manche Säuberung, mancher Absturz beginnt, wenn Informationen über die Geschäfte eines Funktionärs in westlichen Medien erscheinen, mancher Zweikampf wird zum Königsdrama von Shakespeare-Format – wie der zwischen Bo Xilai und Xi Jinping. Der Sieger ist bekannt, seine Politik der zentralistischen Befugnis und Kontrolle ebenso: Unter dem Vorwand, Chinas Weg zur Weltmacht von Korruption und westlicher Dekadenz freizuräumen, wurde er zum neuen Mao Zedong.

Whitney Duangs Netzwerk der guangxi zerreißt während der Machtkämpfe. Als Wen Jiabao wegen eines Artikels in der „New York Times“ über Geschäfte seiner Frau und Kinder unter Druck kommt, ergreift er für Xi Jinping Ping Partei, um sich zu retten. Sein gesamtes Vermögen schenkt er der KPCh. Viele “rote Adlige”, etliche Milliardäre, wie Jack Ma, einst bewunderter Herr von “Alibaba”, werden folgen. Der Staat dominiert heute wieder vollständig die Wirtschaft.

Desmond Shum erzählt im letzten Drittel seines Buches, wie er um “Genesis” kämpft, sein letztes großes Bauprojekt mitten in Peking, wie er Kontakte nach Amerika und Europa hält, andererseits fehlgeleitet von seiner Heimatliebe in Hongkong noch 2014 prochinesische Propaganda macht. Weil er an seinen Einfluss in der „Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes“ glaubt, einer von vielen scheindemokratischen Institutionen, schreibt er Xi Jinping einen Brief mit Reformvorschlägen, während landesweit jede Opposition erstickt wird. Er bekommt keine Antwort.

Wer weiß, wie eine Partei des Lenin- oder Mao-Typs auch kleinste organisatorische Einheiten beherrscht, indoktriniert, zur Kontrolle nutzt – egal ob Sportvereine oder Berufsverbände etwa von Künstlern, Wissenschaftlern, Journalisten, wer erlebt hat, wie in Schulen, Hochschulen, in jedem privaten Unternehmen Parteikomitees die Linie aufzwingen, der wird über Shums langen Weg zum bitteren Erwachen nur deshalb staunen, weil er das Reich von guangxi, dem informellen Verbindungsnetz nicht von innen kennt. Whitney verweigert sich dem Erwachen. Aber Konflikte zerreißen selbst die “im Himmel geschlossene”, von big money gesegnete Ehe, als das Vertrauen brüchig wird. 2013 trennt sich Desmond von ihr, 2015 geht er mit dem Sohn nach England.

“Chinesisches Roulette” macht – gerade weil das Buch nicht moralisiert, sondern das dramatische Geschehen einigermaßen nüchtern betrachtet – sehr anschaulich, dass nicht nur Asien durch das totalitäre System der KPCh bedroht ist, dass andererseits informelle Macht künftig über das Schicksal jedes noch so massiven Imperiums mehr entscheiden wird als materielle. Ist China “to big to fail”? Kollektivistische Heilsversprechen werden ebenso wie Hoffnungen auf Bürgerrechte derzeit durch die unmenschliche No-Covid-Strategie der KPCh in Shanghai beispielhaft exekutiert.

Ein kleiner, nicht lektorierter Fehler im letzten Absatz des 17. Kapitels ergibt eine hübsche Pointe: Xi Jinping, 2018 durch eine geänderte Verfassung ermächtigt, seine Amtszeit beliebig zu verlängern

“…tauchte auf Postern, Teetassen und Tellern auf. Sein Name erschien jeden Tag auf dem Titelblatt des Parteiorgans Renminbi Ribao.

Das „bi“ zuviel macht aus dem VolkRenmin – in der Volkszeitung das Geld – Renminbi. Ja, die Medien gehören Big Money und Big Brother. Das Volk zahlt für alles.

Desmond Shum „Chinesisches Roulette“, Droemer Knaur, München 2022, Übersetzt aus dem Englischen von Stephan Gebauer

Der Artikel erschien erstmals am 19.April 2022 im Globkult-Magazin.

Corona: Krankheit und Größenwahn

Spanische Grippe 1918 in der Satire: „Krankheit harmlos“, sagt die Zeitung, „aber Gräber werden knapp!“

Ging es während der Ausbreitung von Covid-19 um den Kampf gegen Krankheit und Tod? Gewiss. Alle Erkrankten, ihre Angehörigen, das Personal in Krankenhäusern und Arztpraxen kämpften nach besten Kräften, oft bis sie damit am Ende waren – der Tod siegte weltweit millionenfach. Aber das vollbrachten nicht die Viren allein, nicht einmal dort, wo die natürlichen Abwehrkräfte infizierter Menschen schon durch Alter, Vorerkrankungen, prekäre Lebensverhältnisse geschwächt waren. Covid-19 bedrohte die Bevölkerung und forderte unermesslich viel Lebenszeit, Lebenskraft, Lebensfreude, weil schon vor Ausbruch der „Pandemie“ im Hintergrund ein anderer Kampf begonnen hatte, der sich mit dem Geschehen zunehmend als der eigentliche erwies: Der Kampf um die – informelle – Macht der Politiker und um die Profite von Pharma- und „Gesundheits“-Industrie. Letzterer tobt in der materiellen, quantifizierbaren Dimension der Macht. Aber beide Dimensionen der Macht – informelle und materielle – wie sie sich in der globalisierten Welt unserer Zeit offenbaren und dynamisch wechselwirken, vereinigten sich im Corona-Regime zu einem in solcher Radikalität sonst nur aus Revolutionen, Weltkriegen und Genoziden bekannten Impuls politischen Handelns.

Wenn jemand erkrankt, ist das ein Prozess von enormer Komplexität mit vielen Beteiligten, inneren und äußeren Begleitumständen und erstaunlichen Informationsflüssen im zellulären Bereich, also bei Eiweißsynthesen. Angestoßen wird er meist durch Erreger, deren Ziel ist, sich im Wirtsorganismus kräftig zu vermehren. Ein einzelner – etwa ein Virus – kann das nicht, und auch eine größere Zahl von ihnen scheitert meist schon, ehe sie sich so weit reproduzieren können, dass die körpereigene Abwehr alarmiert ist. Da Milliarden aller möglichen Mikroorganismen fortwährend in unserem Körper leben, sind unvorstellbare Mengen von Informationen andauernd unterwegs, um eine Latenz fürs Reagieren auf unerwünschte Eindringlinge aufrecht zu erhalten. Ich weiß nicht, ob das Immunsystem so etwas wie „Schlaf“ kennt – die Immunologen haben längst noch nicht alle wunderbaren Fähigkeiten enträtselt. Dass es antizipiert – also viele Möglichkeiten des Reagierens vorhält – scheint mir gewiss. Ich vergleiche es mit dem Tennisspieler, der hoch präzise auf die Bewegungsmuster seiner Gegenspieler eingestellt ist: Er retourniert ohne nachzudenken, weil er die Bewegungsmuster des anderen „vorausahnt“. Je besser er trainiert ist, je mehr Gegner er vom Platz gefegt hat, desto sicherer wird seine Antizipation.

Dass die Qualität einer Immunabwehr von vielen Faktoren abhängt, ist offensichtlich; die genetische Ausstattung aber ist wesentlich – und sie ist bei jedem Individuum unverwechselbar, einzigartig, ein wirkliches Naturwunder. Junge Menschen sind allgemein widerstandsfähiger: Während überstandene Infektionen ihr Arsenal gegen Erreger ertüchtigen, schwächen es Alter und Krankheiten wie Diabetes oder Asthma. Dass Impfungen als ihr „Trainingsprogramm“ zu einem Segen und einer großen Hoffnung für die Medizin wurde, ist ebenso bekannt, trotzdem interessieren die höchst unterschiedlichen Wirkungsweisen von Vakzinen die Mehrheit bis heute kaum. Sonst wäre nicht zu begreifen, dass in der Diskussion ums Impfen, gar um eine Impfpflicht für alle, die Unterschiede zwischen Pocken-, Masern-, Polio- und anderen seit langem bewährten Immunisierungen, insbesondere gegen Kinderkrankheiten, mit den „Impfstoffen“ im Falle COVID-19 durcheinander geworfen werden. Diese schaffen keine vergleichbare Immunität, sondern – wenn überhaupt – einen gewissen Schutz vor schweren Verläufen, vergleichbar mit Grippe-Impfstoffen.

Skandal in den 1960er Jahren mit zahllosen Opfern

Krankheiten verlaufen niemals bei zwei Patienten gleich. Wie sich ihre Körper unterscheiden, so auch die Immunsysteme. Ihre Qualität ist durch die Gene und die Lebensgeschichte bestimmt. Sie sind unvorstellbar komplex, lassen sich so wenig parametrisieren, vermessen, geschweige quantifizieren wie das Wettergeschehen des Planeten. Jede Diagnose ist in der Genauigkeit begrenzt, kalkuliert mit Unwägbarkeiten, und jeder, der einmal den Beipackzettel auch nur eines leichten Schmerzmittels aufmerksam gelesen hat, weiß das: Ellenlang werden Wahrscheinlichkeiten für Nebenwirkungen referiert, er wird aufgefordert, vermeintliche, bislang unbekannte, zu melden. Das tun die Hersteller, um nicht in Haftung genommen zu werden, weil sie nicht hinreichend aufgeklärt haben. Die Contergan-Katastrophe hat beispielhaft den kritischen Blick auf Pharmaprodukte geschärft. Insbesondere dann, wenn Risiken wegen anderer Krankheiten – etwa Allergien – oder wegen gleichzeitig eingenommener anderer Medikamente bestehen, ist eine Arznei „kontraindiziert“: Sie darf nicht angewandt werden.

Für „Comirnaty“ und seinesgleichen fehlten solche Angaben lange Zeit weitgehend; erst mit immer mehr Meldungen über Nebenwirkungen rücken die Hersteller damit heraus. Sie können beruhigt sein: Ihre Verträge, geschlossen mit Regierungen und „Gesundheits“- Bürokraten der ganzen Welt, stellen sie von der Verantwortung für allfällige Schäden ihrer begrenzt zugelassenen Produkte frei. Der deutsche Gesundheitsminister behauptet steif und fest, die verabreichten Seren seien “mehr oder weniger” ohne Nebenwirkungen – weil nicht sein kann, was nicht sein darf, und ihm seine Stellung in der Politbürokratie verheißt, er könne – jenseits des Grundgesetzes – jedem einzelnen mal mehr, mal weniger Freiheit zugestehen, über seine körperliche Unversehrtheit selbst zu entscheiden.

Derweil ließen die Panikwellen, ausgelöst von Medien, getrieben von staatlichen und supranationalen Protagonisten wie der WHO, das Verlangen nach der rettenden Nadel anschwellen bis zur Besinnungslosigkeit. Wer sich als Wissenschaftler oder Journalist dem entgegen stellte, wurde einfach weggespült oder wie kontaminiertes Treibgut behandelt. Dabei taten sich nicht wenige Politiker – namentlich der Grünen – hervor, die jahrzehntelang Ergebnisse der Gentechnologie rigoros abgelehnt hatten. Wieso? Sie sind inzwischen an der Macht.

Die Genforschung ist heute so etwas wie die Königsdisziplin der Molekularbiologie. Wer in ihr erfolgreich ist, kann Ruhm bis hin zum Nobelpreis und Gewinne in Milliardenhöhe erwerben – falls er die gewonnenen Informationen zur rechten Zeit veröffentlicht, Patente erwirbt und sie vermarktet. Dazu müssen sie allerdings tragfähig sein und sich in der Praxis beweisen. Wer etwa wirksame Vakzine gegen besonders bedrohliche Infektionen oder Medikamente gegen Krebs entwickeln könnte, verdiente damit nicht nur Milliarden, ihm lägen auch Milliarden Menschen samt Regierungen und Medien zu Füßen: Ein Weltenretter von der Dimension eines Messias. Welchen Mächtigen lockte nicht die Aussicht, das zu werden?

Das Erscheinen des Virus SARS-CoV-2 Ende 2020 und die folgenden, von den Medien dankbar in apokalyptische Höhen aufgetürmten Wellen der Ansteckung weckten entsprechende Hoffnungen. Ein Impfstoff befreit von einer lebensgefährlichen Krankheit – Covid-19! Was folgte, ist bekannt. Was nicht folgte, war Befreiung, auch wenn einige naturwissenschaftliche Analphabeten, medial hochgerüstet, eifernd wie alle Propagandisten von Patentlösungen und Endsiegen, sie unter Schlagworten wie „No-Covid“ oder „Zero-Covid“ ankündigten. Ihnen zufolge hätte sich die Bevölkerung nur den strengsten Maßnahmen widerstandslos unterwerfen und die befreiende Spritze erdulden müssen – den „Piks“ oder “Pieks” –, um die Gefahr auszuschalten.

Dieses Geschehen erreichte ein weltweite Dynamik ohnegleichen. Wer nach ihren Auslösern, Treibern, Profiteuren fragte, machte sich unbeliebt, ja er stellte sich einem kollektiven Bedürfnis nach Glauben entgegen. Nicht wenigen Mächtige geißelten die aller Wissenschaft zugrunde liegende Skepsis mit Begriffen wie „unsolidarisch“, „gemeinschaftsschädlich“, „staatsfeindlich“. Viele Medienkonsumenten – namentlich der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten – waren bereit, die Geschichte von der „Pandemie der Ungeimpften“ zu glauben, die an der „Seuche“, an überlasteten Kliniken und Gesundheitsämtern schuld seien. Die Statistiken – sofern sie nicht falsch oder voller Entstellungen waren – bewiesen nichts davon. Menschen ohne Impfung werden trotzdem von allen Seiten gelockt, öfter genötigt, das Vorgehen lässt sich recht eigentlich auf den Begriff „Kollektivzwang“ bringen. Erzwungen werden soll nicht mehr und nicht weniger als die Teilnahme an einem Menschenexperiment, wie es die Welt noch nicht gesehen hat – mit bis heute ungewissem Ausgang. „Wer sich nicht impfen lässt, gehört nicht zu uns!“ wird signalisiert, etwa vom italienischen Premierminister Draghi. Immer neue Invektive gegen „Verweigerer“ werden erfunden, ich erspare mir die Aufzählung.

Olaf Scholz, Nachfolger der großen Corona-Managerin Merkel, bekannte öffentlich, er habe sich wie viele andere Bürger als „Versuchskaninchen“ piksen lassen; zum Vorbild wurde er dadurch nicht. Stattdessen gehen immer mehr Bürger friedlich protestierend gegen eine Impfpflicht auf die Straßen, die Scholz und andere Piksempfänger als Kandidaten vor der Bundestagswahl 2021 ausgeschlossen hatten.

Egal welcher Partei die Freunde der Zwangsimpfung angehören – ihr Ziel ist deutlich dasselbe: Eine nur bedingt zugelassene Vakzine fragwürdiger Wirkung, die vor allem bei jüngeren Menschen gesundheitliche Schäden verursacht, soll um jeden Preis zu 100% durchgesetzt werden. Das ist der letzte Schritt in der ganzen Serie von Maßnahmen, mit denen – dazu bekannten sich ranghohe Politiker immer unverfrorener – die Kontrollgruppe des Menschenexperiments aus den Statistiken verschwinden sollte. Die Lüge von der „Pandemie der Ungeimpften“ ist längst aufgeflogen. Doppelt, selbst dreifach „Gepikste“ infizieren sich und andere mit Varianten von SARS-CoV-2, ihr Anteil in Hospitälern und auf Intensivstationen ist beachtlich, ebenso die Zahl an “Long Covid” Leidender. Im Wechsel von Aufreger und Tranquilizer verabreichen regierungstreue Medien den Bürgern rund um die Uhr in Nachrichten, Kommentaren, Talkshows statistische Verwirrspiele, dazu einen Cocktail aus repressiven Maßnahmen, die sich weltweit als fürs Infektionsgeschehen wirkungslos erwiesen haben, Lockerungen, falschen Versprechen – die Verwertung in dramatischen Filmen und Serien ist abzusehen.

Es hat trotzdem nicht geklappt, mit dem „Freipiksen“. Aber die Deutungshoheit über Einschränkungen der Grundrechte – sowohl was die Selbstbestimmung über den eigenen Körper wie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit betrifft – sollen der Exekutive, parteipolitisch konditionierten Parlamentariern und den ihnen hörigen Medien vorbehalten bleiben – möglichst für immer. Dank des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) ließen sich in Deutschland dafür auch milliardenschwere globale Konzerne wie Facebook, Google, Twitter… in Dienst nehmen. Andere Regierungen griffen das Gesetz dankbar auf – der lupenreine Demokrat Erdogan etwa. Seltsame Allianzen finden sich zusammen, ihre Macht gegen oppositionelle Kräfte zu schützen: Autokraten, Pharma- und Internetkonzerne, globale Organisationen wie die WHO.

Eine Verschwörungstheorie? Eher Hinweise auf eine Mischung aus Anmaßung und Unvermögen bei den Verantwortlichen. Sowohl die undurchschaubaren Manöver mit Daten von Tests, Impferfolgen und -schäden wie der Eifer, mit denen die wahrscheinliche Herkunft des Virus aus „Gain-of-Function“-Experimenten amerikanischer und chinesischer Wissenschaftler in Wuhan vernebelt wurde, bezeugen mit klarer werdender Sicht auf Vorgeschichte und Hintergründe, was vorging. Lange vorm Covid-19-Ausbruch spielten höchstrangige Politiker, Forscher, Medienproduzenten Szenarien eines solchen Ausbruchs durch. Sie verhandelten über später bei den Corona-Maßnahmen angewandte Strategien, einschließlich deren medialer Begleitung: Die Panik war Programm, die Angstmache bis ins Detail simulierter TV-, Radio-, Pressemeldungen ausgeschmückt, die Vorgehensweise professionell geplant.

Ausgerechnet Deutschland und Österreich exekutierten die “Plandemie” in der Praxis besonders gründlich. Ist es ein Zufall, dass neben Angela Merkel, die bekanntermaßen immer mehr supranationale – also “europäische”, gar globale – Lösungen als “alternativlos” anstrebte, nun der kanadische Premier Justin Trudeau zu härtesten Mitteln greift, jene in die Knie zu zwingen, die sich gegen digital bewehrte Attacken auf Persönlichkeitsrechte wehren? In Kanada formierten sich Trucker zum „Convoy of Freedom“, weil sie sich nicht Kontrollmechanismen unterwerfen wollen, die in China üblichen “Social-Credit”- Systemen verdächtig ähneln. Trudeau gehört ebenso zu den von Klaus Schwab geadelten “Young Global Leaders” wie Emmanuel Macron, Jacinda Ardern (MP von Neuseeland), Jens Spahn, Annalena Baerbock, dazu Führungsfiguren von global agierenden „NGO“, der Informationsmächte Google, Facebook, Wikipedia und andere mehr.

Unterm Banner weltumspannender Menschenfreundlichkeit arbeiten sie an der “Großen Transformation”, die Bürgerrechte zu ihren Gunsten einebnen möchte. Sie würde etwa die WHO ermächtigen, das Vorgehen à la “Plandemie” über nationale Gesetze zu stellen. Auch der UN-Migrationspakt lässt erkennen, wie Schutzrechte nationaler Verfassungen für das Individuum gegenüber staatlichen Maßnahmen verschwänden. So wären kritische Stimmen von Wissenschaftlern, Medizinern, Journalisten, zu ersticken: Die informelle Macht läge fast ausschließlich in den Händen einer “Elite”, die heute schon über eine unvorstellbare materielle Macht ihnen gegenüber gebietet. Sie wäre unanfechtbar, käme es zur Zusammenarbeit mit China: In dem dort vorexerzierten System gesellschaftlicher Kontrolle ist die Bevökerung zur Manövriermasse deklassiert.

In der Literatur und im Film sind das Aufkommen, die gewaltsame Behauptung, gelegentlich der Untergang solcher Herrschaftsformen eindrucksvoll beschrieben. Sie scheitern allerdings daran, dass sich in die Zukunft nur sehr begrenzt hineinregieren lässt – ebenso wie sich eine Welt ohne Naturkatastrophen, tödliche Krankheiten, Altern, Ungleichheit und – ihr zugrunde liegende – qualitativ, nicht quantitativ bedingte Konflikte herbei-impfen lässt: egal ob mittels Indoktrination oder “One-Size-Fits-All”-Medikamenten. Wer es versucht, muss separieren, isolieren, entrechten, gleichschalten, unterdrücken, wo immer sich Widerstand regt. Das wurde in der Geschichte immer wieder versucht, es endete im habituellen Größenwahn, der den Handelnden – egal ob Führungsfigur, Handlanger, Mitläufer unerschütterliche Macht vorgaukelte. Hinweise darauf, dass dieser Größenwahn sich mit irgend einem wunderbaren Arkanum aus Menschenhand heilen ließe, gibt es nicht. Und der liebe Gott ist auf pharmazeutische Dienste so wenig zu verpflichten, wie auf Pläne geistlicher und weltlicher Eroberer. Er hilft erfahrungsgemäß nur bei deren Bestattung und beim Auferstehen aus Ruinen.

Der Artikel ergänzt den zuerst am 25. Februar 2022 im Globkult-Magazin erschienenen.

Pandemischer Besuch

Der Tod mäht in der Cholera Menschen nieder. Illustration aus Le Petit Journal Ende des 19. Jahrhunderts
Seuchenangst und Politik

Mit dem Virus kommt der Gevatter
Lupft den Zylinder und sagt: „Grüß Gott!
Habe die Ehre, Herr Wichtigmann,
wir treten jetzt eine Reise an“.
Geimpft und geboostert fühlst du dich sicher
Der meint nicht mich, erst ist ein anderer dran.
Du greifst zum Imfpass, doch die Seiten sind leer
Und auch beim I-Phone rührt sich nichts mehr.

„Moment mal“, fragst du den knochigen Gast,
„kann es sein, dass du’s etwas zu eilig hast?
Da sind ein paar Leute, die sind nicht geimpft
Die hole!“. „Ja“, sagt der Tod, „sonst werd ich beschimpft.
Doch der Impfpass bewahrte noch keinen vorm Sterben
Mag die Pharmalobby noch so sehr werben.
Ob an oder mit – ist dem Virus egal
Mir auch, mein Freund. Du hast keine Wahl.“

Sollst du nun lachen oder angstvoll erschauern?
Du bist dir gar keiner Krankheit bewusst.
Der Pieks ging ganz glatt – und Du hast ja gemusst.
Also sagst du: „Sehr geehrter Herr Tod
Ich war solidarisch. Ich hielt das Gebot
schützte mich und die andern vor schwersten Leiden!“
„Mensch“, nölt das Gerippe, „bloß nicht zu bescheiden.
Was du getan hast, verdient jedes Lob
Das weiß, wer je eine Statistik erhob.
Du bist dem Staat eine wertvolle Nummer
Machst auch den Medien keinerlei Kummer.
Du sorgst dafür, dass die Mühlen mahlen
Klar: soll’n doch die Ungeimpften bezahlen“.

„Das geht mir nun wirklich zu weit mein Herr
Ich folg‘ der Regierung ich denke nicht quer
Und doch hab ich nie irgendwen denunziert.
Von Wissenschaftlern ward ich geführt.“
„Drum eben“, lächelt das Knochengesicht,
„bist du mir so besonders wichtig.
Leute wie du machen alles richtig.
Ich nehm‘ dich mit, weil du dazugehörst
Und auf das solidarisch Sein schwörst.
Als Sterbefall bist du ein wichtiger Teil
der nächsten Kampagne für bessere Vakzine
auf dass Elite weiter verdiene:
Minister, Konzernchefs, die ‚Wissenschaft‘
Ohne Angst vor mir – wo wäre ihre Kraft?
Sie schützen vor jeglichem Ungemach
Versprechen’s davor, vergessen’s danach.

Nun Kopf hoch, mein Freund, die Sense ist scharf
Kein Trotz und Geschrei, wenn ich bitten darf.
Als Vorbild beim Impfen warst du im Glied
Jetzt hoffe nicht auf den Unterschied.“
Es saust die Sense, die knochigen Arme
Schwingen nach vorn: „Dass Gott sich erbarme!“
Kannst du noch schreien, dann bist du wach.
Dein Hauptabteilungsleiter sagt: „Guten Tach
Wünsche wohl zu ruhen, Herr Wichtigmann
Gelobt sei, wer den Büroschlaf ersann.
Nun sei’n Sie hübsch fleißig, ich wüsste zu gern —
Wenn sie so wollen ‚im Namen des Herrn’—
Was über Ihre Verlässlichkeit.
Für etliche Leute ist es soweit:
Wer, statt sich impfen zu lassen, herumspaziert
Corona leugnet und andre verführt
Dasselbe zu tun, der gehört in die Akten.
Es muss endlich Schluss sein mit diesen Beknackten.“
Spricht es, winkt dir „Habe die Ehre!“
Und hinterlässt eine ziemliche Leere.

Du sitzt vorm Computer und fragst dich entsetzt
Wird nicht dein Recht aufs Gröbste verletzt
Wenn der Tod gänzlich ungeimpfte Personen
Weil sie nicht erfasst sind, einfach vergisst
Während du – trotz Boostern nach -zig Mutationen –
Ohne vollständigen Impfschutz bist?
Die Impfpflicht muss her, Codes und Listen, nur munter
Der Staat soll gelobt sein, er setzt sie um.
Wer nicht funktioniert, der geht eben unter
Wichtigmann nicht. Der ist schließlich nicht dumm.

Gesundheit – auf Zuteilung?

Thermalquellen schätzten schon die Römer vor 2000 Jahren

Seit ein paar Wochen hat Baden-Baden neben zehn anderen bedeutenden Kurorten den Status als Weltkulturerbe. Das Friedrichsbad, denkmalgeschützt und mit Thermalwasser aus einer inzwischen als nicht trinkbar eingestuften einstigen Heilquelle gespeist, ist dank Coronamaßnahmen seit 1 1/2 Jahren dicht. Wir haben dort ein Guthaben, es würde uns etliche entspannte Stunden in der einmaligen, kunstvoll ausgestatteten Oase körperlichen und seelischen Wohlbehagens verschaffen. In den vergangenen Jahren hielt uns das Heilbad vermutlich etliche Infektionen vom Hals. Gäbe es nicht Lockdowns, deren Nutzen beim Versuch, Infektionen mit dem Sars-Cov2-Virus einzudämmen zweifelhaft ist, täte es das auch weiterhin.

Gutscheine für das nebenan gelegene Spaßbad „Caracalla“, ein Geschenk zum 70sten Geburtstag – liegen seit fast einem Jahr ungenutzt herum, weil dort „3G“ gilt, wir als Ungeimpfte keinen Zutritt haben, ihn auch nicht wünschen, solange durchgeknallte Politbürokraten Grundrechte außer Kraft setzen, weil aus dem angeblichen Kampf gegen ein Virus längst ein Kampf gegen Menschen wurde, deren Denken vom verordneten Konsens abweicht.

Was tun?

Wir freuen uns einfach des Lebens an Orten, wohin der „Arm des Gesetzes“ – er ist längst zum Arm despotischer Verordnungen gegen Sinn und Wirksamkeit des Grundgesetzes geworden – nicht reicht. Das war in der DDR und ähnlichen sozialistischen Paradiesen, etwa im China der Maoistischen Kulturrevolution, in Sowjetrussland und seinen osteuropäischen Satelliten Strategie zum Überleben. Mühsam, aber am Ende erfolgreich.

Heute ist die Frage, was der Unterdrückung schneller den Garaus macht – der wirtschaftliche Kollaps aufgrund aberwitziger Planwirtschaft nach linksgrün-totalitärem Muster, der Übergang ins Kalifat, auf den die ungeregelte Einwanderung hinarbeitet, oder das schlichte Verweigern des Gehorsams von Seiten jener, deren Steuern, Rundfunkbeiträge und Sozialabgaben den Politbürokraten samt ihren Satrapen in Medien und NGO ein Leben in Saus und Braus finanzieren – und die gern das selbstverständliche Recht auf freien Zugang zum Weltkulturerbe wahrnähmen, das es ohne sie nicht gäbe.

Es bleibt spannend.

Souverän oder Plebs? Wer wählt?

Auch der große Bruder in Moskau wollte ab 1972 nur noch harte Währung für den Handel mit dem kleinen

Als die Wirtschaft des ›real existierenden Sozialismus‹ in den 70er Jahren für jeden erkennbar asthmatisch wurde, entschieden die Herren im Politbüro, den Klassenkampf ganz und gar auf die ideologische Ebene zu verschieben. Das ›Überholen ohne einzuholen‹ von Walter Ulbricht war ökonomisch und wissenschaftlich-technisch zur Lachnummer geworden, aber die Deutungshoheit über den ›Antifaschismus‹ und den dafür notwendigen Schutzwall war zu verteidigen, und alle Fragen, auf die der Kapitalismus keine Antwort hatte, ließen sich trefflich instrumentalisieren: „Ausbeutung des Menschen durch den Menschen“, „Entfremdung“, „Warenfetischismus“, „Kolonialismus“, „Rassismus“…

Da Moskau, Peking und Ostberlin praktisch keine Antworten, sondern nur staatlich gelenkte Mangelwirtschaft anzubieten hatten, verfielen sie auf die Idee, ein Stück Welt-Markt und ein bisschen Binnenmarkt unterm Patronat Kommunistischer Parteien zu organisieren. Eigentlich kein Wunder, denn der Kommunismus ist schließlich ein Gewächs auf dem Holz des Kapitalismus: Irgendwer muss die Arbeit machen, Mehrwert schaffen, der von Politbürokraten in Pläne gefasst und verwaltet wird.

Ob Mosambik, Angola, Äthiopien,… DDR-Waffen in Kriegen begehrt

Sie agieren dabei lautstark als die guten Antiimperialisten. Alle Menschen wollen Geld und Wohlstand, die Politbürokraten versprechen ihnen die Unbedenklichkeit ihrer Version von Wirtschaft im Sinne sozialer Gerechtigkeit und höherer Moral. Es gibt klare Feindbilder. So etwas mögen die meisten. Im Ansehen mancher Staaten Afrikas hatten sie damit zeitweilig einen Kredit, statt knappen Devisen wurde mit Waren bezahlt – vor allem LKW, Waffen und Munition. Die meisten DDR-Bürger buchten das unter Solidarität und freuten sich, wenn’s für die blauen Bohnen der „Kommerziellen Koordinierung“ – so hieß die Fachmannschaft des Stasi Obersten Schalck-Golodkowski – rote Bohnen, also Kaffee, aus Äthiopien gab.

Die SED und ihre Helfer in gleichgeschalteten Parteien – es gab »liberale«, »nationale«, »christliche« und eine der Bauern – konnten sich einfach auf tief ausgetretenen Trampelpfaden anthropologischer, gern religiöser Rituale bewegen, nach denen Menschen in gute und böse einzuteilen waren. Und so läuft es immer noch – so lange nicht dem Wahlvolk die Lücken zwischen Heilsbotschaften und real existierendem Mangel an gelösten Problemen unerträglich werden. Es ist interessant zu beobachten, wie Populisten aller sozialistischen Richtungen sich dann zugleich der folgsamen Masse anbiedern und die enttäuschte Masse als Pack, Pöbel, Plebs etc. beschimpfen.

Machen wir’s kurz, denn 40 Jahre DDR waren lang genug: Politisch vertrauenswürdig ist, wer sein Mandat einer hinreichend großen Zahl von Individuen mit dem Wunsch nach Freiheit und Selbständigkeit verdankt, weil sie ihm zutrauen, sich für ihren Erfolg im (globalen) Markt ebenso wie fürs soziale Umfeld und die natürlichen Ressourcen einzusetzen. Er muss keine Feindbilder ausmalen, keine archaischen Herdenimpulse in Dienst nehmen, er hält stattdessen die Dominanzwünsche von Politbürokraten im Zaum. Staat und Politik sind – wie’s das Grundgesetz vorschreibt – dem Dienst am Wohl des Volkes, lateinisch populus, verpflichtet, nicht der Pfründe von Parteien, ihnen gefälligen Medien und ihren als NGO getarnten Hilfsorganisationen.

Das Grundgesetz – mehr als nur aufgeklebtes Symbol?

Medien hätten eigentlich dem Beweihräuchern von Gewählten und Beamteten sowenig zu dienen wie eigener Machtgier, wenn sie Vertrauen verdienen wollten. Will sagen: Wenn Politbürokraten und ihnen aus offensichtlichem Eigennutz gefällige Journalisten statt über unvermeidliche Interessengegensätze und Konflikte zu informieren, dem Plebs, von dessen Steuern und Zwangsbeiträgen sie leben, über den Mund fahren, verlieren sie ihre Existenzberechtigung. Wenn sie sich dem Alltag, den Mühen der Demokratie – also dem Umgang mit Demos, dem Volk, entziehen, indem sie sich als Vormund aufspielen, dann wollen sie Sozialismus, gegründet auf einer Ersatz-Religion namens Marxismus-Leninismus oder sonstiger Heilslehren von Weltgeltung. Sie dürfen dann wieder gegen Leugner, Ketzer, Renegaten kämpfen – das freie Wort unterdrücken, Bücher, Bilder, Filme und Denkmäler eliminieren. Die Macht gibt ihnen das erhabene Gefühl, zu den Guten zu gehören: Es hat nicht nur hierzulande blutige Millionenopfer gefordert.

Verfallende Kulturen

„Es steht geschrieben…“ war einmal eine gewichtige Einleitung zu argumentieren; „Es heißt…“, oder „Man sagt…“ dagegen mit erheblicher Unsicherheit behaftet. Sollte also eine Geschichts-Schreibung verlässlicher sein als Heldenepen, Mythen, gar Gerüchte? Auch Historiker kommen seit jeher nicht ohne überlieferte oder aus Artefakten konstruierte Mutmaßungen aus, schon gar nicht ohne Impulse und Motive. In einer unübersichtlichen Landschaft aus halbwegs verlässlicher Dokumentation, Fabuliertem und schierer Propaganda hat noch niemand letzte Wahrheiten über Geschehenes, geschweige Aktuelles oder gar Zukünftiges gefunden. Dies umso weniger, wenn der über 3000 Jahre zurückliegende Untergang einer Zivilisation betrachtet werden soll, die als „Bronzezeit“ geläufig ist. Fast jeder hat in der Schule von ihr gehört und in Museen der Frühgeschichte Exponate bestaunt – etwa im Vorderasiatischen und im Neuen Museum zu Berlin

Von Ägypten, zum Zweistromland, Anatolien und der Ägäis: Globale Wirtschaft und Kultur?

Wenn einer aber zu überblicken versucht, welcher gewaltige Aufwand in den vergangenen etwa 300 Jahren für archäologische Forschung rund ums Mittelmeer und in angrenzenden Ländern getrieben und wieviel darüber geschrieben wurde, nimmt er sich schier Unmögliches vor. Eric H. Cline hat sich nur mit der Frage beschäftigt, wie dort in zahllosen Artefakten, auf Keilschrifttafeln und in Hieroglyphen erhaltene Zeugnisse einer blühenden Kultur zugleich deren innere Dynamik wie ihren Verfall bekunden. Ein Literaturverzeichnis von 36 eng bedruckten Seiten weist darauf hin, wieviel Sachkenntnis und hartnäckige Recherche er brauchte, um auf 230 Seiten vom Ende der Bronzezeit zu erzählen. Und der Leser sieht sich einer fast ebenso riesigen Menge von Anmerkungen gegenüber, wenn er Details nachgeht. Ein Blick auf die Liste der „Dramatis Personae“ überzeugte mich ebenso wie das Lesen der ersten Kapitel mit vielen Ortsnamen und der Vorgeschichte beteiligter Völker – von den Ägyptern über Assyrer, Hethiter, Ägäer, Kanaaniten – sogleich, dass ich als interessierter Laie an die Grenzen meines Vorstellungsvermögens stoße.

Ich habe also zweimal gelesen, und das hat mein Interesse noch befeuert. Cline kommt nämlich zu dem Ergebnis, dass es eine durch wirtschaftliche, politische und kulturelle Interaktionen vernetzte, heutigen globalen Verhältnissen durchaus vergleichbare multiethnische Welt war, die sich über einen Zeitraum von nur etwa hundert Jahren auflöste. In drei Kapiteln erzählt er die Vorgeschichte. Besonderen Raum nimmt dabei Ägypten ein, dessen Handelskontakte und florierende Wirtschaft über Jahrhunderte andere Völker überragten und dessen Kultur und Religion besonders gut erforscht sind. Es sind ägyptische Bildwerke, auf denen auch die sogenannten Seevölker und eine ihrer Seeschlachten mit Ägyptern abgebildet sind. Herkunft, ethnische Wurzeln, Sprache ebenso wie Auftauchen und Verschwinden dieser Seevölker geben Forschern bis heute Rätsel auf, obwohl sie mit ihren Überfällen auf sämtliche Arainersaaten des östlichen Mittelmeeres zu Niedergang und Zusammenbruch der bronzezeitlichen Kultur erheblich beigetragen haben.

Während Tontafeln, Inschriften auf Stelen, Keramiken oder Fresken bekunden, wie Handel und Handwerk zwischen Völkern und ihren Städten wie Babylon, Assur, Tyros, Memphis, Ugarit und der gegenüberliegenden Insel Zypern, dem weit entfernten Kreta, Mykene, Troja blühten, sich Sprachen und Schriften beeinflussten – es gab mit Akkadisch sogar eine „lingua franca“, die im diplomatischen Gebrauch war – fanden sich kaum Spuren, die als charakteristisch den Seevölkern zuzuordnen waren. Aber das Besondere an Clines Buch ist, dass es eine Fülle von archäologischen Untersuchungen zusammenführt, mit denen sich belegen lässt, wie nicht allein Überfälle und Zerstörungen die bronzezeitliche Blüte erstickten, sondern wie Erdbeben, klimatische Veränderungen, vor allem Dürre und folgende Hungersnöte dabei mitwirkten.

Immer neue Unschärfen und Unklarheiten tauchen beim Lesen der vielstimmigen Diskussion unter Archäologen auf und führen zu neuen Fragen: Was weiß man heute genau über die demographischen Verhältnisse der in dieser frühen Form von „Globalisierung“? Dass die Staaten zentralistisch von Palästen aus regiert wurden, dass große Städte ca. 8000 Einwohner hatten ist bekannt, aber wie wirkten sich die erkennbaren Katastrophen aufs innere Gefüge aus? Unsichtbare Mitspieler müssen Seuchen gewesen sein, die sich fast immer im Zuge von Naturkatastrophen, Krieg, und Reisen ausbreiten. Dank der besonderen Begräbniskultur der Ägypter wissen wir vom Tod in den Fürstenhäusern und unter hohen Beamten – aber wie starben Sklaven, Bauern, Handwerker? Sie waren zu unbedeutend, jemals erwähnt zu werden, ihre Lebenserwartung war vermutlich gering, der Tod ein alltägliches Ereignis. Soldaten – immerhin ein besonder Beruf – zählten nur als gefallene Gegner, je mehr, desto größer der Ruhm, vielen wurden Hände als Trophäen abgehackt. Zweifellos haben Feld- und Seuchenzüge demographische Verläufe ausgeprägt, ebenso Migrationen. Die deutlichste scheint von der Ägäis auszugehen, über Land und Meer alle Küsten des östlichen Mittelmeeres ergreifend, wobei sich unterschiedlichste Ethnien mischten oder verdrängten.  Nach dem Niedergang der Hochkultur setzten sich spontane, robuste, dezentrale Wirtschaftsformen durch – Strategien des Überlebens.

Mit dem eigentlichen Untergang der Kulturen befasst sich Erik S. Cline vom vierten Kapitel an. Beispielhaft stehen dafür die Ausgrabungen in der nordsyrischen Hafenstadt Minet el-Beida und – ausgehend von dort – der Hauptstadt des Königreiches Ugarit. Dort fanden sich Zeugnisse des florierenden Handels und verschiedener Sprachen rings ums östliche Mittelmeer. Das Ugaritische hatte bereits ein frühes Alphabet. Insgesamt war das vorgefundene Schriftgut derart umfangreich, dass Ugaritologie zu einem eigenen Forschungszweig avancierte.

Während sich in vielen anderen Städten nach schweren Schlachten, Bränden, Beben, fast immer Neuansiedlungen fanden, dort Verbindungen über See und Land selbst zu entfernteren Handelspartnern so weit intakt blieben, dass der Güteraustausch wieder in Gang kam, wurde Ugarit bei einem Angriff vollkommen zerstört. und verlassen. Das Königreich war Vasallenstaat der Hethiter, aber dieses bis Mitte des 13. Jahrhunderts v. Chr. mächtige Reich löste sich wenig später vollkommen auf.

Es leuchtet ein, dass der Autor viele Ursachen des Verfalls zu einem komplexen Geschehen zusammenfasst, am Ende die Komplexitätstheorie ins Spiel bringt und damit systemisches Versagen eines von vielen – divergierenden – Kräften beeinflussten Netzwerks der Abhängigkeiten. Die herrschenden Eliten hatten offensichtlich keine Strategien, auf das Zusammenwirken von Naturkatastrophen, Freibeuterei, inneren Spannungen, Migration zu reagieren. Interessant wäre hierbei, inwiefern Religionen in die Krise kamen, weil ihre Normen setzende und durch Rituale im Alltag befestigende informelle Macht dahinschwand.

Vergleiche zum Untergang anderer Kulturen drängen sich auf. Cline erwähnt die Maya, mir fallen die Ablösung der Ming-Dynatie in China durch die von Nordosten vordringenden Mandschu und – wesentlich dramatischer – deren Niedergang als Qing-Dynatie unterm Druck der westlichen Imperien am Ende des 19. Jahrhunderts ein. Er beendete eine Jahrtausende alte Kultur chinesischer Kaiserreiche. Das wechselvolle 20. Jahrhundert, gezeichnet vom gescheiterten Versuch der Guomindang, westliche Wirtschafts- und Poltitkmodelle zu etablieren, von der blutigen Invasion der autokratischen Japaner, dem Sieg der Kommunisten unter Mao Zedong, hätte die Traditionen des alten China beinahe ausgelöscht. Sie überlebte, angepasst an ein bis heute erfolgreiches, mit totalitären Grausamkeiten einhergehendes Regime der KPCh auf der Basis kapitalistischen Wirtschaftens. Der Kampf um dessen globale Dominanz ist in vollem Gang.

Cline bezieht sich auf den Komplexitätsforscher Ken Dark, wenn er feststellt, die bronzezeitliche Vernetzung soziopolitischer Strukturen habe zu gesteigerter Komplexität geführt, und je komplexer ein System, desto wahrscheinlicher sei sein Zusammenbruch. Das Ende des osteuropäischen Sozialismus bestätigt das Muster: Rudolf Bahro analysierte 1977 in seinem großes Aufsehen und noch größere Wut der sozialistischen Partei- und Staatsführung erregenden Buch „Die Alternative“, wie die ungehemmt in die Tiefe und Breite wuchernde Politbürokratie Wirtschaft und Kultur immer mehr erstickte, die Fixierung der Herrschenden auf Deutungshoheit sie zugleich in strategischer Starrheit gegenüber äußeren und inneren Anforderungen gefangen hielt – bis zum Kollaps.

Dass der Zusammenschluss west- und osteuropäischer Staaten zur EU mit einem deutlichen Zuwachs an Komplexität – also wechselseitiger Abhängigkeit in existenziellen Konfliktfeldern wie der Finanz-, Energie-, Migrationspolitik – einhergeht, muss man niemandem mehr erklären. Die Corona-Pandemie zeigt es nur einmal mehr. Wenn Politiker starr und unter Missachtung kritischer Stimmen der Strategie „Mehr Desselben“ folgen, weil ihre Deutungshoheit nicht angetastet werden darf, führen sie nicht nur ihr eigenes Land, sondern das Gefüge globalisierter Staaten in Situationen, die unbeherrschbar werden. Insofern weist „Der erste Untergang der Zivilisation“ zwar nicht auf den Weltuntergang hin, wohl aber auf den einer Zivilisation, deren Blüte noch vor dreißig Jahren gerade erst zu beginnen schien.

DAS BÜNDNIS – eine Farce

ER Da bin ich. Es war wieder ein harter Kampf.

SIE Gleich sagt er wieder, dass ich ihn lieben muss…

ER HÄNGT EIN PLAKAT AUF Das habe ich für dich entworfen.

AUF DEM PLAKAT STEHT: „ALL MEINE LIEBE, ALL MEINE TREUE
GILT UNS!“

SIE …dass er alles für mich tut…

ER Die Frau steht wahrhaft im Mittelpunkt: Du! All meine Fürsorge gilt dir. Das ist der reale
Feminismus.

SIE … wie schlimm die anderen Männer sind…

ER Wenn du wüsstest, wie die Machos die Frauen unterdrücken. Überall entrechtete, betrogene, unterdrückte Frauen.

SIE … dass ich bei ihm in Sicherheit bin…

ER Bei mir genießt du Geborgenheit, eine gesicherte Existenz.

SIE … wie kalt es draußen ist…

ER Ich habe sie gesehen: die Frauen ohne Obdach, ohne Schutz, ohne Arbeit…

SIE … wie ich mich frei entfalten kann…

ER Hast du eingekauft? Ich habe Hunger.

SIE … wie anderswo – was?

ER Ich habe Hunger.

SIE Ich auch.

ER Ich habe dich etwas gefragt.

SIE Ich‘ liebe dich. All meine Liebe, all meine Treue…

ER Nein! Ja. Gut. Aber hast du eingekauft?

SIE Ich habe es versucht. Aber seit du mir das andere Bein auch abgeschnitten hast…

ER Du genießt die vollen Vorzüge unseres Gesundheitswesens, umfassende medizinische
Betreuung und die Einrichtungen zur Rehabilitation. Die Holzbeine aus der von mir
in erfolgreicher Gemeinschaftsarbeit zum Welthöchststand entwickelten Holzbeinproduktion…

SIE Es funktioniert nicht.

ER Lass mich bitte ausreden. (ÄNGSTLICH) Liebst du mich etwa nicht mehr?

SIE All meine Liebe, all meine Treue gehören nur dir.

ER Und nichts verbindet dich mit den bösen, herrschsüchtigen Machos?

SIE Alles verbindet mich mit dir und nichts verbindet mich mit den bösen, herrschsüchtigen Machos.

ER Alles für dich, alles durch dich, alles mit dir. Hast du eingekauft?

SIE Ich bin zu spät gekommen.

ER Das ist unmöglich. In meinem umfassenden Programm der entwickelten Strategie des Warenerwerbs unter den Bedingungen der verschärften Auseinandersetzung mit den Machos habe ich in schöpferischer Anwendung der Lehren der Klassiker des Feminismus nachgewiesen, dass wir dem Machismo um eine ganze historische Epoche voraus sind.

SIE Mit einem Holzbein ging es ja auch noch ganz gut, wenn ich mich sehr angestrengt habe, aber…

ER Wie redest du denn?

SIE Es gab objektive Schwierigkeiten.

ER So?

SIE Die Einsparung des Kniegelenks an dem zweiten Holzbein…

ER Vertraust du mir etwa nicht?

SIE Doch aber es funktioniert nicht.

ER Die Neuentwicklung erfolgte auf streng wissenschaftlicher Grundlage. Planmäßig hättest du die anderen überholen müssen.

SIE …ohne sie einzuholen. Ich weiß. Aber ich bin gar nicht erst auf die Beine gekommen

ER Du hast uns schweren Schaden zugefügt. Bist du dir dessen bewusst?

SIE Ich kann nicht mehr. Ich kann nicht schneller, Die anderen haben Rollstühle. Außerdem habe ich Hunger.

ER Eben. Du isst zuviel. Deine Ansprüche übersteigen unsere Möglichkeiten. Jetzt willst du auch noch einen Rollstuhl. Dabei habe ich schier unermessliche Mittel in die Einsparung des Kniegelenkes investiert. Das hat man von seiner Großzügigkeit. Manchmal wünschte ich, ich könnte die Methoden der Machos …

SIE Ja?

ER Fressen, fressen; das ist alles, woran du denkst. Fressen und Rollstuhlfahren. Denkst du auch daran, dass man für Rollstühle dort nicht nur die Beine, sondern die eignen Kinder verkauft? Denkst du auch an die armen Frauen mit den
abgeschnittenen Ohren?

SIE Abgeschnittene Ohren! Das ist schrecklich.

ER Damit nicht genug. Es gibt welche, denen man den Mund zuklebt, die sich den Gehörgang selbst zustopfen, damit sie nichts mehr hören von all dem Elend. Keiner hört überhaupt auf irgendwen. Es gibt keine Werte. Keine Moral.

SIE Schrecklich.

ER Da fahren sie herum, in ihren Rollstühlen: ohne Beine, ohne Ohren, immer auf der Jagd nach Fressen und hören nicht, wenn jemand leidet und um Hilfe schreit.

SIE Das stimmt. Sie hören nichts. Sie sind so schnell an mir vorbeigefahren, dass ich nichts erkennen konnte, und ich bin zu spät gekommen. Niemand hat mich um Hilfe rufen hören.

ER Ich höre dich immer. Ich höre dich, ich sehe dich, bei mir bist du geborgen. In Sicherheit.

SIE Ja.

BEISCHLAF

ER Du musst jetzt einkaufen gehen. Es ist für uns, für unsere Zukunft, für die gemeinsame Sache, für unser Kind. Es ist eine Frage des Bewusstseins.

SIE Für unser Kind … Für den Feminismus.

ER Für uns.

SIE Für uns.

SIE RAPPELT SICH AUF, FÄLLT WIEDER HIN

SIE Mit zwei Beinen war ich schneller.

ER Willst du damit sagen, dass das System falsch ist? Unser System? Willst du unsere Errungenschaften in Frage stellen? Das Gesundheitswesen, das dich keinen Pfennig kostet? Unsere Macht, die uns zur Beherrschung der Natur verholfen hat? Die Rolle der Arbeit bei der Menschwerdung des Affen? Beine! Wir beherrschen die Technik, wir sind der Natur überlegen. Beine! Wo wir fliegen können!

SIE Zum Einkaufen?

ER Zum Einkaufen! Jawohl! Sollen sie doch mit ihren Rollstühlen herumfahren, ohne Planung und Leitung. Wenn du nur willst, beweisen wir unsere Überlegenheit. Wir fliegen.

SIE Fliegen. Bas wäre schön.

ER Wir brauchten überhaupt keine Kniegelenke mehr. Wir könnten sie völlig einsparen.

SIE Darf ich nicht wenigstens eines behalten?

ER Wo denkst du hin. Auf diesen Sieg über die Natur werden wir nicht verzichten. Allerdings…

SIE Ja?

ER Es gibt da ein Problem…

SIE Welches?

ER Die Machos versuchen offensichtlich, sich einen Vorsprung zu verschaffen. Sie arbeiten an der Reduzierung des Luftwiderstandes.

SIE Des Luftwider …??

ER Des Luftwiderstandes. Jedes fliegende Objekt hat ihn. Auch du. Wir müssten ihn drastisch herabsetzen. Die abgeschnittenen Beine sind eine großartige Errungenschaft! Sie reduzieren den Energieaufwand für den Flug fast um
die Hälfte, aber der Luftwiderstand…

SIE Was ist damit?

ER Du hast so schrecklich abstehende Ohren.

SIE Was?

ER Damit geht es natürlich nicht.

SIE Was?

ER Fliegen. Zum Einkaufen fliegen. Fliegen für unser Kind, für unsere Zukunft.

SIE Ich verstehe nicht.

ER Es ist eine Frage des Bewusstseins, der Werte, der Moral. Wir brauchen eine große freiwillige Initiative von dir. Wenn du fliegen willst, müssen wir die Ohren abschneiden. Du willst doch fliegen für uns, zum Einkaufen? So wie du bist, kannst du es nicht schaffen. Mit diesem schrecklichen Luftwiderstand.

SIE Nein.

ER Du weigerst dich?

SIE Ja.

ER Du stellst dich gegen den Fortschritt?

SIE Ich habe immer alles getan, was du von mir verlangt hast.

ER Wir. Was wir von uns verlangt haben. Soll das alles umsonst gewesen sein?

SIE Ich möchte nur meine Ohren behalten.

ER Das ist egoistisch, kleinlich, reaktionär.

ER ZIEHT EINE BANANE HERAUS,ISST.

SIE Woher hast du die Banane?

ER Hart erarbeitet. Auch du könntest Bananen essen, wenn du mehr Initiative zeigen und es dir nicht auf meine Kosten bequem machten würdest.

SIE Woher hast du die Banane?

ER Darüber bin ich dir keine Auskunft und schon gar keine Rechenschaft schuldig. Gerade jetzt, wo du dir jedes Vertrauen verscherzt hast, kann ich dir unmöglich derart wichtige, geheime Informationen geben. Bewähre dich.
Lerne fliegen. Dann könntest du die erste beim Einkaufen sein und wir hätten immer Bananen.

SIE Ich habe Hunger.

ER ZIEHT EINE ZWEITE BANANE HERAUS

ER Ich könnte dir etwas abgeben. Als Vertrauensvorschuss sozusagen.

ER HÄLT IHR DIE BANANE VOR DIE NASE. SIE SCHNAPPT DANACH, ER ZIEHT DIE BANANE WEG.

ER Natürlich müsstest du etwas guten Willen zeigen.

SIE Was soll ich tun?

ER Die erste Etappe der freiwilligen Initiative „Flug zu den Bananen“ beginnen. Wenigstens ein Ohr muss fallen.

SIE Nein. Nein. Nein.

ER Gut. Damit ist alles klar. Du hemmst unseren Aufbau. Du stellst alles in Frage. Du machst dich zum Bundesgenossen unseres Gegners. Du weißt, wozu du mich zwingst.

SIE Ich will doch nur meine Ohren behalten.

ER Meine. Meine. Das ist die Sprache des Feindes.

SIE Du hast doch selbst gesagt, dass die Machos Ohren abschneiden.

ER Du vergleichst MICH mit den Machos? Mich, den Befreier vom Machismo?

ER STÜRZT SICH AUF SIE, SCHNEIDET EIN OHR AB, ISST ES AUF, HAT EINEN ORGASMUS.

ER Es tut mir leid, aber ich musste diese Maßnahme ergreifen. Das wirst du einsehen. Der Feind ist überall. Mitten in unseren Reihen. In dir. Ich bin über dein Versagen tief betroffen, es schmerzt mich. Nur die tiefe Sorge um dich hat mich bewogen, einzugreifen, denn unsere Errungenschaften müssen geschützt werden. Es lebe das Bündnis von Mann und Frau. Nieder mit dem Machismo!

SIE Wohin gehst du?

ER Ich muss mich erholen. Der Feind könnte die kleinste Schwäche auf unserer Seite nutzen. Ich muss stark sein für uns, für unser Kind, für unsere Zukunft.

ER LEGT IHR MESSER UND VERBANDPÄCKCHEN HIN.

ER Wir brauchen dich. Auf dich kommt es an. Mach mit! Flug zu den Bananen!

ER VERSCHWINDET.

SIE Manchmal möchte ich weglaufen. SIEHT SICH ÄNGSTLICH UM

SIE Einfach weg. Weit, weit weg, egal wohin. Wenn er das wüsste. Ich glaube, er schlüge mich tot.

Wenn ich Beine hätte. Ja. Oder wenigstens einen Rollstuhl. Aber so; ohne Beine bei den Machos. Ganz allein. Eine unter vielen, ohne Arbeit, ohne Obdach. Ohne Chance gegen die Machofrauen. Ohne Rollstuhl und mit dem hohen Luftwiderstand.

Jetzt ist er nur noch halb so hoch.

Ich bin schlecht. Ich bin egoistisch. Wir haben so lange zusammen gelebt und ich will alles im Stich lassen: die Sicherheit und Geborgenheit, die er für mich geschaffen hat, meine Arbeit, unsere gemeinsame Zukunft, den
Feminismus. Unser Kind.

Ich bin schlecht. Er ist so stark und ich bin so feige. SIE NIMMT DAS MESSER.

Trotz allem vertraut er mir.

Für unser Kind, unsere gemeinsame Zukunft. Flug zu den Bananen! SIE SCHNEIDET DAS ANDERE OHR AB.

ER WIRD VON EINER JUNGEN SCHÖNEN FRAU HEREINGEROLLT, IN EINEM WUNDERBAREN ROLLSTUHL

ER Es ist erreicht! Sie haben mich anerkannt! WIRFT IHR EINE BANANE ZU.

ER Wir rüsten ab. Wirf das Messer weg, oder besser: gib es her.

SIE Wer ist das?

ER Das ist das Neue Wesen. Das Neue Wesen in unserem gemeinsamen Haus.

SIE Sie hat Beine, sie hat Ohren, wer ist sie, wo kommt sie her?

ER Meine Initiative war erfolgreich, alle haben es erkannt: wir brauchen das Neue Wesen. Schluss mit den Kämpfen, Schluss mit der Unterwerfung der Natur. Gib das Messer her.

SIE Wo kommt ihr her, woher hast du den Rollstuhl?

ER Gib sofort das Messer her.

SIE VERSUCHT SICH AUF DAS NEUE WESEN ZU STÜRZEN. KURZER, HOFFNUNGSL0SER KAMPF; ER NIMMT IHR DAS MESSER WEG, DROHT IHR.

ER Es wird nicht mehr gekämpft. Spürst du nicht, wie die Luft frischer und leichter wird, wenn das Neue Wesen auftritt?

ER KÜSST DAS NEUE WESEN

ER Natur! Natur!

SIE Du warst bei den Machos!

ER Und sie mussten mich endlich anerkennen. Es waren zähe Verhandlungen. Gefällt dir der Rollstuhl? Es ist das neueste Modell.

SIE Du hast gesagt, es gibt dort nur Frauen ohne Beine und ohne Ohren.

ER Die meisten. Ja. Aber jetzt lebt man dort wieder natürlicher. Wir haben uns geeinigt. Keinem wird mehr weh getan. Ohne Grund.

ER STREICHELT SIE, SIE STÖSST IHN WEG.

SIE Was wird aus mir, was wird aus unserer
gemeinsamen Zukunft, unserem Kind.

ER Seine Beine sind in guten Händen.

SIE Du hast es verkauft, für das neueste Modell. An die Machos.

ER Wir haben jetzt ein GEMEINSAMES HAUS. Bananen für alle, Rollstühle für alle. Irgendwann.

SIE Es ist noch nicht einmal geboren, und du hast es verkauft.

ER Es wäre sowieso kein besonders schönes Kind geworden. Von einer Frau ohne Beine, ohne Ohren. Was wäre das schon für eine Zukunft. Die Zukunft gehört dem Neuen Wesen. Wir haben uns geeinigt, alles wird gut.

SIE SCHREIT. DAS NEUE WESEN KLEBT IHR DEN MUND ZU.

ER Alles wird gut.

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Damals in den 80er Jahren wohnte ich nur eine halbe Stunde Fußweg entfernt vom „SEZ“ im Prenzlauer Berg. Natürlich probierte ich alles aus: Wellenbad, Sauna, Sporthalle und Fitness-Räume, ließ mir in den Restaurants schmecken, was in für DDR-Bürger ungewöhnlicher Qualität angeboten wurde. Durchaus möglich, dass mir seinerzeit Gregor Gysi über den Weg lief – ich hätte ihn nicht erkannt, denn er gehörte zum Nachwuchs der Nomenklatura. Wahrscheinlich verbrachte er seine Freizeit in erlauchteren Kreisen, als FKK-Fan etwa an jenen Seeufern, die von Uniformierten mit Kalaschnikows bewacht wurden.

So eines gab es am Liepnitzsee, unweit von Erich Honeckers Wohnort Wandlitz. In einem wunderschönen Wald aus alten Buchen liegt dieses klare, tiefe Gewässer mit einer Insel in der Mitte und den schönsten Stellen zum Nacktbaden, die sich einer wünschen kann. Wochentags und außerhalb der Ferien war es sehr ruhig; manchmal war ich dort ganz allein. 1986 endeten die Ausflüge. Ich hatte mein Motorrad verkauft und wartete auf „Entlassung aus der Staatsbürgerschaft“, nachdem im Jahr zuvor SED und Stasi alle meine Arbeiten unterdrückt hatten. Ich jobbte als Kellner, hielt mich zweimal die Woche im SEZ fit, als ich an eben jenen „Hotspot“ geriet. Es war wohl so, dass mich eine Kollegin mitschleppte, in die ich – leider ergebnislos – verliebt war, sie war verheiratet, wartete gemeinsam mit ihrem Mann auf die erlösende Meldung von „Inneres“.

Stellen Sie sich vor, auf einer Wiese an einer der meistbefahrenen Straßen mitten in der Millionenstadt etwa zwei Dutzend Nackedeis jeglichen Alters und Geschlechts herumliegen oder -sitzen zu sehen, mit Picknick, Lesen, Kartenspiel oder dem Verteilen von Sonnencreme auf nahtlose Bräune beschäftigt, gern auch in inniger Umarmung. Meine Begleiterin wurde sogleich begrüßt, stellte mich vor – so etwa „auch einer von uns“ – und umstandslos begann ein Erfahrungsaustausch über Lebensläufe, Wartefristen, allfällige Schikanen, Verhaftungen, Ziele. Einmal flossen Tränen: Ein Gesuch war abgelehnt, der schwule Freund aus Westberlin an der Einreise gehindert, fortgesetztes Bestehen auf Ausreise mit Strafe bedroht worden. Zwischendurch, etwa im Abstand von ein bis zwei Stunden, erschien ein Volkspolizist. Die grüne Uniform war von Weitem zu sehen, einige zogen Badehosen oder Bikini über, manche aber verharrten, bis der „Genosse Wachtmeister“ sie ansprach.

„Ich fordere Sie hiermit auf, bedecken Sie sich!“ Das klang nicht einmal unfreundlich.

Grinsend taten die Nackten wie ihnen geheißen. Sobald „das Schnittlauch – außen grün innen hohl“ weg war, waren es auch die Textilien.

Das Spiel wiederholte sich – in leicht wechselnder Besetzung – an jedem sonnigen Tag. Einige gingen zwischendurch zum Sport, Schwimmen und Saunieren, die meiste Zeit verbrachten sie unter Ihresgleichen, eine schräge Gemeinde, keine Sekte, zusammengehalten nur von einem Ziel: Sie kamen dorthin, weil sie weg wollten, sie machten sich zum Ärgernis, auf dass der Staat das Naheliegende tue – Sie ziehen lassen. Es hieß, die Badegäste des SEZ haben sich immer wieder einmal beschwert, aber das halte ich für ein Gerücht. Das Personal dieses Honecker’schen „Sondervorhabens“ bestand zu einem großen – wenn nicht zum überwiegenden – Teil aus Leuten, die für Erich Mielkes Liebesministerium arbeiteten. Das Vorzeigeobjekt für die Wonnen sozialistischen Lebens wäre übel befleckt worden, hätte es in seiner Umgebung gewaltsame Übergriffe gegeben. Die Gäste hinter den riesigen Glasfenstern kamen schließlich nicht nur aus dem Osten – sie brachten Devisen mit und konnten „drüben“ erzählen, wie entspannt es in der Hauptstadt der DDR zuging.

Ich war nicht oft dort. Einmal traf ich eine meiner Studentinnen, sie freute sich und erzählte, dass sie einen Dozenten aus Spanien kennengelernt habe, der sie demnächst ehelichen wolle.

„Herzlichen Glückwunsch“, sagte ich, „aber was willst du hier? Rausheiraten lassen ist die eleganteste Lösung. Kein Risiko. In dieser bunten Gesellschaft nimmt dich womöglich die Stasi auf den Kieker.“ Sie schüttelte den Kopf.

„Ist dir noch nicht aufgefallen, dass hier niemand verhaftet, nicht mal ein Strafzettel verteilt wird? Das Völkchen hier an der langen Leine zu lassen, ist viel klüger, als sie zu kujonieren. Das Wichtigste ist, dass keiner ein Muster erkennen kann, nach dem jemand früher oder später freikommt. Sie und nur sie entscheiden, und über die Gründe für eine Entscheidung muss Ungewissheit herrschen. Ich komme her, um Spanisch zu lernen – und da habe ich Gesellschaft.“

Sprach’s, zog ein Wörterbuch und einen Kassettenrekorder westlichen Fabrikats aus der Tasche und fläzte sich in den mitgebrachten Campingstuhl.

Die Ungewissheit hätte mich vielleicht schlimmer zermürbt, wären da nicht Fitnessräume, Sauna, Wellenbad, Solarinseln (keine UV-Särge! Scheinwerfer über Liegeflächen!) gewesen, schlingerndes Seelenleben zu stabilisieren und Lüste sprungbereit zu halten – meine und die meiner damaligen Freundin. Nein, sie ist mir nicht in den Westen gefolgt, sie hat in der Hauptstadt geheiratet und ihre Tochter aufgezogen. Mit dem SEZ, das wir gemeinsam besucht hatten, war’s schon 1991 vorbei. Eigentümer wurde der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, von Grünen, Linken, Sozialdemokraten verwaltet und außerstande, Sanierung, Instandhaltung, laufenden Betrieb wirtschaftlich zu gestalten. Mit dem Investor, dem man das zunehmend herunterkommende Objekt 2003 für einen Euro verkaufte, ist man seither im juristischen Clinch. Nicht etwa wegen inzwischen aberwitziger Energiepreise für Bäder und Eishalle. Es geht nur noch darum, wer die millionenschwere Immobilie nach dem Abriss des SEZ als Baugrund verwerten darf. Ist schon eine Ironie, dass Sozialisten 40 Jahre nach der Eröffnung wegbaggern lassen, wofür sie sich damals feiern ließen.

Friedrichsbad und Stiftskirche Baden-Baden 2021
Das geschlossene Friedrichsbad und die Stiftskirche Baden-Baden im März 2021

„Unten ohne“ ist für mich bis heute ein Vergnügen – sei’s mit Freunden am Kiessee neben dem Rhein, sei’s in dem wunderbaren Friedrichsbad, 1877 über den Ruinen eines mehr als 2000 Jahre alten Römischen Bades erbaut. In dem Neorenaissance-Bau sprudelt 60° heißes Thermalwasser in historische Räume mit Majolika-Fliesen, fast alles ist im Originalzustand und denkmalgeschützt. Zwar ziehen auch hier gelegentlich lärmende Banausen durch, ignorieren Schilder mit Hinweisen auf den Zusammenhang von Ruhe und Entspannung, aber es ist eine Augenweide. Ob ich noch erleben werde, dass es hier auf Ruhebetten zu „einvernehmlichem Geschlechtsverkehr“ kommt wie die „Wikipedia“ von den Solarinseln des SEZ zu berichten weiß?

Und wird das Friedrichsbad seinen 150sten Geburtstag als Oase des genussvollen Lebens oder nur noch als Denkmal feiern können? Es herrscht wieder – wie damals, als ich „unten ohne auf dem Sprung“ in die Freiheit das beste aus den lähmenden Zeiten der Politbürokratie Ost zu machen suchte: Ungewissheit. Unsere Thermalquellen sind versperrt. Solange „oben ohne“ verboten ist, bleiben sie es. Nein, nackte Demonstranten gegen das Manövrieren mit Angst und Ungewissheit wird es wohl nicht geben im schönen Baden-Baden, wo Tourismus, Gastronomie, Einzelhandel und die Zulieferer von „Lockdowns“ gerade durch „gesellschaftliche Zwänge“ zerrieben werden. Ob allerdings demnächst die Verantwortlichen nicht „unten ohne“ – dastehen, ob die Basis, von der sie leben, ihnen nicht das Vertrauen aufkündigt, darauf würde ich nicht wetten. Es heißt auf dem Sprung bleiben.

(Der Artikel ergänzt den auf „Globkult“ erschienenen)