Masken der Macht – Gesichter der Ohnmacht (III)

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Die Möglichkeiten, Bilder digital zu manipulieren, erweitern nicht nur das Arsenal von Meinungs- und Stimmungsmachern. Animierte Figuren tummeln sich in dreidimensionalen Welten der Spiele und auf der Leinwand. Mittels „Motion Capture“ lassen sich sämtliche Bewegungen echter Schauspieler, Artisten und Stunts digital auf künstlich erschaffene – Avatare – übertragen – einschließlich der Gesten, Mienen und Laute, die von lebenden Akteuren abgenommen wurden, das heißt: deren gesamtes Spektrum nonverbaler Signale in der Kommunikation. Sie wirken ebenso mächtig und überzeugend auf das Publikum (oder die Spieler im Cyberspace) wie Menschen aus Fleisch und Blut. Gefühle haben sie nicht.

Hier nun ist über die Forschungsarbeit von Siegfried Frey zu reden und über sein Buch „Die Macht des Bildes“1. Als es 1999 bei Huber in Bern erschien, wurde es überall in den Medien, auch von Psychologen, Trickfilmern und in der einschlägigen Forschung stark beachtet. Frey wies im Experiment überzeugend nach, dass es der vom „Sender“ erwünschte Eindruck beim Betrachter ist, der sowohl die klar definierten Formen als auch die Dynamik der Mienen, Gesten und Laute hervorbringt, dass also nicht zugrunde liegende Gefühle, sondern die beim Gegenüber erheischte Wirkung die Impulse des „Senders“ steuert – wie das Radschlagen von Pfauen oder Balztänze von Paradiesvögeln bei den Weibchen. Antizipation treibt den Impuls – das gilt für jede Form des Balzverhaltens. Nicht warum einer den anderen „aus den Augenwinkeln“ oder „von oben herab“ anschaut“, sondern welcher Eindruck beabsichtigt ist, erklärt das Signal einer – oft nur winzigen – Drehung des Kopfes. Mancher kleine Mann muss sich auf die Zehenspitzen stellen und das Kinn heben, um von oben herab schauen zu können. Vorm Erhabenen zum Lächerlichen ist’s manchmal nur eine Zehenlänge.

Siegfried Frey nutzte in seinem Labor in der Duisburger Uni dazu nicht nur einschlägige Video- und Messtechnik für die physiologischen Abläufe bei Probanden, um deren Reaktionen auf Mienen und Gesten zu testen, er konnte auch auf ein System zurückgreifen, in dem jede Regung der Gesichtsmuskeln bei nonverbalen Signalen kodiert war: Dieses 1978 erstmals publizierte Facial Action Coding System (FACS)1 verbreitete sich weltweit und belebte die Anstrengungen neu, von Gesichtsausdrücken auf dahinterliegende Gefühle, womöglich gar Absichten zu schließen. Frey ergänzte diesen Code um die Bewegungen des Körpers; sie sind nicht willkürlich, sondern haben eine genaue Zahl von wesentlichen Freiheitsgraden. Beim Gesicht sind es 49, insgesamt 104. Damit ließen sich Mienen und Gesten von 180 Politikern in Videofilmen gut erfassen und kodieren. Nahm man nun die physiologischen Reaktionen von Probanden während des Betrachtens solcher Videos auf, konnten sie zeitlich genau den Bewegungsmustern am Bildschirm zugeordnet werden. Natürlich protokollierten Frey und seine Mitarbeiter auch, wie Versuchspersonen die im Film Gezeigten subjektiv bewerteten – sympathisch oder unsympathisch, kompetent oder inkompetent etc.

Die Ergebnisse verblüfften, und bis heute hat Freys Buch nichts von seiner Aktualität eingebüßt: Die Bewertungen für die stummen Mimen der Videos stimmten auffällig überein, darüber hinaus zeigte sich, dass am Rechner mittels der so gewonnenen Daten sehr grob animierte Puppen fast identische Sympathiewerte erreichten wie ihre menschlichen „Vorlagen“. Das trug dem Forscher viel Interesse von allen Seiten, vor allem von Trickfilmproduzenten ein. Trotzdem sind seine Erkenntnisse aus dem öffentlichen Bewusstsein längst wieder zugunsten der alten Frage nach dem „Warum?“, nach emotionalen Gründen hinter mimischen, gestischen und akustischen Formen nonverbaler Kommunikation verschwunden. Wie war das möglich?

Dass sich nonverbale Signale quantifizieren ließen, weckte unvermeidlich den Wunsch, mit ihrer Hilfe einen neuen Kanal von Informationen über menschliches Verhalten zu öffnen, womöglich zu dessen Kontrolle. Paul Ekman gründete in den USA eine Firma, die ihrer Kundschaft – namentlich Sicherheitsbehörden – versprach, anhand dekodierter „Mikromimik“ des Gesichts etwa Terroristen schon am Eingang eines Flughafens identifizieren zu können. Gelänge dies, wären deren Absichten dank winziger physiognomischer Regungen erkennbar, Lügner mit größerer Sicherheit zu überführen als durch heutige Detektoren, wäre es ein großer Schritt zum „Gläsernen Menschen“, zur perfekten Kontrolle von Individuen und zur absoluten Macht.


1  Paul Ekman / Wallace V. Friesen: Facial Action Coding System. Investigator’s Guide, California 1978


1  Siegfried Frey „Die Macht des Bildes“ Verlag Huber, Bern 1999

Dieser Artikel ergänzt die zuerst veröffentlichte Fassung im Globkult-Magazin

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Masken der Macht – Gesichter der Ohnmacht (II)

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„Jenaer Thüringer Alte Herren 1850“: Was verraten Kopfform, Nase, Stirn einer Silhouette?

Kehren wir zu Lichtenberg zurück, einem kleinen Mann, der von Kindheit an unter einer verkrümmten Wirbelsäule litt, bucklig war, und doch schon zu Lebzeiten als Gelehrter mit außerordentlichem Scharfblick sowohl wie seiner Fähigkeit zu präzisem Beschreiben und wissenschaftlicher Argumentation wegen gerühmt wurde. Als es ab 1775 Mode wurde, die „Physiognomischen Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe“ des Schweizer Pfarrers Johann Caspar Lavater als Übungsbuch dafür zu nutzen, jederzeit und überall aus Köperformen und Gesichtszügen auf Charaktere zu schließen, reagierte er mit bissiger Polemik. Dem gesellschaftlichen Mainstream, der sich mit Spekulationen über Nasen, Kinn, Stirn und anderen Eigenheiten unterhielt, entgegnete er souverän. Sein Essay „ Über Physiognomik wider die Physiognomen“ besticht auch heute noch. Dass anhand modischer Schattenrisse auf seelische Aktivität im Hintergrund geschlossen wurde, entlarvte er als der Astrologie vergleichbaren Trug. Aber er erkannte – und das war eine herausragende Leistung – wie bedeutsam der nonverbale Anteil der sprachlichen Kommunikation ist.

„Ohnstreitig gibt es eine unwillkürliche Gebärden-Sprache, die von den Leidenschaften in allen ihren Gradationen über die ganze Erde geredet wird. Verstehen lernt sie der Mensch gemeiniglich vor seinem 25. Jahr in großer Vollkommenheit. Sprechen lehrt sie ihn die Natur, und zwar mit solchem Nachdruck, daß Fehler darin zu machen zur Kunst ist erhoben worden. Sie ist so reich, daß bloß die süßen und sauren Gesichter ein Buch füllen würden, und so deutlich, daß die Elefanten und die Hunde den Menschen verstehen lernen. Dieses hat noch niemand geleugnet, und ihre Kenntnis ist was wir oben Pathognomik genannt haben. Was wäre Pantomime und alle Schauspielkunst ohne sie?“

„Expressiv“: Mimik im Stummfilm ist der des Theaters ähnlicher als die Mimik heutiger Medien

Der Begriff „Pathognomik“ setzte sich nicht durch, aber kein geringerer als Charles Darwin trug dazu bei, dass die „wortlose Weltsprache“ als starker Signalweg der menschlichen Kommunikation erkannt wurde. Dass sich zugleich mit den Bildermedien, mit ihrer Verbreitung für Zwecke der Werbung und Propaganda ebenso wie mit dem Siegeszug des Spielfilms auch die Ausdruckspsychologie als wissenschaftliche Disziplin etablierte – Karl Jaspers veröffentlichte dazu Anfang des 20. Jahrhunderts erste Texte – ist nicht verwunderlich: Die ins Überlebensgroße gesteigerte, expressive Mimik des Stummfilms ergab ganz neue Studienmöglichkeiten. Davon profitierten zahllose Forscher, auch solche die während des Dritten Reiches rassische und eugenische Theorien damit begründen wollten. Aber das war es nicht allein, was 1973 der Ausdruckspsychologie an deutschen Universitäten den Garaus machte.

Der Versuch, aus Mienen, Gesten, Lauten Rückschlüsse auf den emotionalen Hintergrund des „Senders“ zu ziehen, erwies sich als äußerst fehlbar. Trotzdem ist es ein allgemein beliebtes wie von Medien gern genutztes Verfahren, über Gefühle, Lebenslagen und Charaktere von Menschen zu mutmaßen. Im Werkzeugkasten des inzwischen als „Framing“ gehandelten Manipulierens von Informationen zu Propagandazwecken ist es immer griffbereit. Sie haben zweifellos selbst schon erlebt, wie unvorteilhaft Sie auf einem Foto wirken können, wenn die Kamera Sie von unten erfasst. Ihr Blick auf dem Bild „von oben herab“ hinterlässt beim Betrachter einen überheblichen Eindruck, ebenso wie der „aus den Augenwinkeln“ einen des Misstrauens. Sie können leicht damit experimentieren, welchen „Gefühlshintergrund“ andere nur infolge einer veränderten Kopfhaltung bei Ihnen vermuten, wenn Sie eine Serie davon aufnehmen: Blick in die Kamera von oben, von unten, mit geneigtem, vorgeschobenem, zurückgezogenem, leicht gedrehtem Kopf; dabei sollten Hals und Schulteransatz im Bild sein um die Relation zum Körper mit zu erfassen. Tun sie das alles möglichst entspannt und emotionslos. Sie werden staunen, wie viel Emotion andere aus den Fotos herauslesen.

Dieser Artikel ergänzt die zuerst veröffentlichte Fassung im Globkult-Magazin

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