Die Möglichkeiten, Bilder digital zu manipulieren, erweitern nicht nur das Arsenal von Meinungs- und Stimmungsmachern. Animierte Figuren tummeln sich in dreidimensionalen Welten der Spiele und auf der Leinwand. Mittels „Motion Capture“ lassen sich sämtliche Bewegungen echter Schauspieler, Artisten und Stunts digital auf künstlich erschaffene – Avatare – übertragen – einschließlich der Gesten, Mienen und Laute, die von lebenden Akteuren abgenommen wurden, das heißt: deren gesamtes Spektrum nonverbaler Signale in der Kommunikation. Sie wirken ebenso mächtig und überzeugend auf das Publikum (oder die Spieler im Cyberspace) wie Menschen aus Fleisch und Blut. Gefühle haben sie nicht.

Hier nun ist über die Forschungsarbeit von Siegfried Frey zu reden und über sein Buch „Die Macht des Bildes“1. Als es 1999 bei Huber in Bern erschien, wurde es überall in den Medien, auch von Psychologen, Trickfilmern und in der einschlägigen Forschung stark beachtet. Frey wies im Experiment überzeugend nach, dass es der vom „Sender“ erwünschte Eindruck beim Betrachter ist, der sowohl die klar definierten Formen als auch die Dynamik der Mienen, Gesten und Laute hervorbringt, dass also nicht zugrunde liegende Gefühle, sondern die beim Gegenüber erheischte Wirkung die Impulse des „Senders“ steuert – wie das Radschlagen von Pfauen oder Balztänze von Paradiesvögeln bei den Weibchen. Antizipation treibt den Impuls – das gilt für jede Form des Balzverhaltens. Nicht warum einer den anderen „aus den Augenwinkeln“ oder „von oben herab“ anschaut“, sondern welcher Eindruck beabsichtigt ist, erklärt das Signal einer – oft nur winzigen – Drehung des Kopfes. Mancher kleine Mann muss sich auf die Zehenspitzen stellen und das Kinn heben, um von oben herab schauen zu können. Vorm Erhabenen zum Lächerlichen ist’s manchmal nur eine Zehenlänge.
Siegfried Frey nutzte in seinem Labor in der Duisburger Uni dazu nicht nur einschlägige Video- und Messtechnik für die physiologischen Abläufe bei Probanden, um deren Reaktionen auf Mienen und Gesten zu testen, er konnte auch auf ein System zurückgreifen, in dem jede Regung der Gesichtsmuskeln bei nonverbalen Signalen kodiert war: Dieses 1978 erstmals publizierte Facial Action Coding System (FACS)1 verbreitete sich weltweit und belebte die Anstrengungen neu, von Gesichtsausdrücken auf dahinterliegende Gefühle, womöglich gar Absichten zu schließen. Frey ergänzte diesen Code um die Bewegungen des Körpers; sie sind nicht willkürlich, sondern haben eine genaue Zahl von wesentlichen Freiheitsgraden. Beim Gesicht sind es 49, insgesamt 104. Damit ließen sich Mienen und Gesten von 180 Politikern in Videofilmen gut erfassen und kodieren. Nahm man nun die physiologischen Reaktionen von Probanden während des Betrachtens solcher Videos auf, konnten sie zeitlich genau den Bewegungsmustern am Bildschirm zugeordnet werden. Natürlich protokollierten Frey und seine Mitarbeiter auch, wie Versuchspersonen die im Film Gezeigten subjektiv bewerteten – sympathisch oder unsympathisch, kompetent oder inkompetent etc.
Die Ergebnisse verblüfften, und bis heute hat Freys Buch nichts von seiner Aktualität eingebüßt: Die Bewertungen für die stummen Mimen der Videos stimmten auffällig überein, darüber hinaus zeigte sich, dass am Rechner mittels der so gewonnenen Daten sehr grob animierte Puppen fast identische Sympathiewerte erreichten wie ihre menschlichen „Vorlagen“. Das trug dem Forscher viel Interesse von allen Seiten, vor allem von Trickfilmproduzenten ein. Trotzdem sind seine Erkenntnisse aus dem öffentlichen Bewusstsein längst wieder zugunsten der alten Frage nach dem „Warum?“, nach emotionalen Gründen hinter mimischen, gestischen und akustischen Formen nonverbaler Kommunikation verschwunden. Wie war das möglich?
Dass sich nonverbale Signale quantifizieren ließen, weckte unvermeidlich den Wunsch, mit ihrer Hilfe einen neuen Kanal von Informationen über menschliches Verhalten zu öffnen, womöglich zu dessen Kontrolle. Paul Ekman gründete in den USA eine Firma, die ihrer Kundschaft – namentlich Sicherheitsbehörden – versprach, anhand dekodierter „Mikromimik“ des Gesichts etwa Terroristen schon am Eingang eines Flughafens identifizieren zu können. Gelänge dies, wären deren Absichten dank winziger physiognomischer Regungen erkennbar, Lügner mit größerer Sicherheit zu überführen als durch heutige Detektoren, wäre es ein großer Schritt zum „Gläsernen Menschen“, zur perfekten Kontrolle von Individuen und zur absoluten Macht.
1 Paul Ekman / Wallace V. Friesen: Facial Action Coding System. Investigator’s Guide, California 1978
1 Siegfried Frey „Die Macht des Bildes“ Verlag Huber, Bern 1999
Dieser Artikel ergänzt die zuerst veröffentlichte Fassung im Globkult-Magazin
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