Vom Vergnügen, „Babels Berg“ zu besteigen

Die Germanistin Dominique Wendland-Stindel kennt sich, da sie aus Frankreich kommt, in der deutschen wie französischen Literatur aus; unser Gedankenaustausch bei „Leben Lesen“ und im freundschaftlichen Kreis ist äußerst anregend. Aus ihrer Feder hätte ich auch scharfe Kritik zu meinen Romanen dankbar entgegen genommen. Umso mehr hat mich gefreut, dass sie „Babels Berg“ mit Vergnügen gelesen hat.
Soviel sei nur verraten : Sennewalds „Babels Berg“ ist viel, viel mehr als die (erwartete) Schilderung einer Jugend in der DDR der 60er und 70er Jahre. Es sind die beispielhaften, mal umwerfend komischen, mal bedrückenden, aber immer mitreißenden Lehrjahre eines neuartigen Candide namens Gustav Horbel. Er, der Physikstudent in Ostberlin, ist Zeuge und Akteur einer Fülle von Ereignissen und Entwicklungen, die ihn – und uns Leser – manchmal bis zu der Frage bringen könnten, ob die Welt ( nun ja, die damalige … ) doch nicht etwa eine Scheibe sein könnte. Eine sich ewig drehende oder ins Unendliche fliegende, versteht sich.

Mit welcher Chuzpe der Physiker Sennewald für den Augenblick eines folgenschweren Diskuswurfs die Naturgesetze ausser Kraft setzt, ist eines Mikhail Bulgakow oder eines Georges Méliès würdig. Und auch der „Überhorbel“ als freudscher Schutzengel sei hier erwähnt als ein Beispiel für die vielen augenzwinkernden Jubelmomente, die den Leser reichlich belohnen.

Sollte ein Kinoliebhaber – etwa aufgrund des Titels – einen Rückblick auf die berühmte Potsdamer Filmfabrik erwarten, so wird er hier Anderes, aber auch viel Besseres finden – nämlich ein filmreifes Drehbuch in der Gestalt eines sprachlich eleganten Romans : verblüffende Bildmetaphern, spritzige Dialoge, skurrile bis hinreißende Akteure, einen temporeichen Szenenwechsel, einen hintergründigen, niemals menschenverachtenden Humor. Dem Autor ist ein erstaunlicher Grenzgang , nicht nur zwischen Ost und West, sondern zwischen Fiktion und Realität, Dichtung und Naturwissenschaft, Satire und Information glänzend gelungen. Diese fulminante “ Raumzeitreise“ durch Ost- und Westberlin um 1970 – und weit darüber hinaus – ist eine große Lesefreude, die ich jedem empfehlen kann.

Leipzig in Kürze

Kein Buchpreis fürs Literaturgirlie - aber Spaß war dabei.

Nein, hier wird nicht Fräulein Hegemann wegen Plagiierens verhaftet!

Buchmesse 2010 – wer hier war, wird sich über Mangel an Anregendem nicht zu beklagen haben, falls er in die Nischen zwischen den millionenschweren PR-Maschinen der gebührenfinanzierten Massenmedien und der Großverlage geschaut hat.
Am Freitag, dem 19.3. konnte man das sogar noch relativ entspannt, heute drängte – inzwischen fast ein Ritual – die Jugend mit und ohne Kostüm zum Spektakel des Sehens und Gesehenwerdens, mancher beklagt die Literaturferne des von Comic- und Mangakonsum inspirierten Getümmels, mir ist es recht, dass junge Leute lieber selbst etwas unternehemen, als andachtsvoll an den Lippen der Mainstreamverkäufer im Literaturbetrieb zu kleben. Entscheidungen zum Lesen und Schreiben fallen in unterschiedlichsten Lebensaltern und – Gott sei Dank – ebenso unterschiedlichsn Kontexten. Qualität setzt sich am Ende durch. Das lässt sich zumindest von der Vergabe der Buchpreise sagen – ich muss hier nicht anführen, was schon in allen Nachrichten stand.
Eine Trouvaille war ein ansprechend edierter Roman von Hans-Dieter Eberhard, “Einer ohne Steuermann” erschienen 2009 in der edition malandrin, München, er gefiel mir wegen seiner schlackenlosen Sprache, ich werde ihn lesen. Ebenso Gerd Koenens “Was war der Kommunismus”, vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht in der Stasi-Gedenkstätte vorgestellt. Das ehemalige Kino der Bezirksverwaltung von Erich Mielkes Liebesministerium war beziehungsreiche Kulisse, der Autor überzeugte durch Sachkenntnis und die Fähigkeit, seine Einsichten in die Entwicklungen einstiger kommunistischer Staaten sehr anschaulich zusammenzufassen. Von China über die Sowjetunion bis Jugoslawien, Albanien und in die ruhmlos verblichene DDR konnte er spezielle Herrschaftsformen historisch und kulturell zuordnen. Für 2013 ist ein umfassendes Werk zum Thema angekündigt; von dem jetzt vorliegenden soll hier demnächst die Rede sein.