Souverän oder Plebs? Wer wählt?

Auch der große Bruder in Moskau wollte ab 1972 nur noch harte Währung für den Handel mit dem kleinen

Als die Wirtschaft des ›real existierenden Sozialismus‹ in den 70er Jahren für jeden erkennbar asthmatisch wurde, entschieden die Herren im Politbüro, den Klassenkampf ganz und gar auf die ideologische Ebene zu verschieben. Das ›Überholen ohne einzuholen‹ von Walter Ulbricht war ökonomisch und wissenschaftlich-technisch zur Lachnummer geworden, aber die Deutungshoheit über den ›Antifaschismus‹ und den dafür notwendigen Schutzwall war zu verteidigen, und alle Fragen, auf die der Kapitalismus keine Antwort hatte, ließen sich trefflich instrumentalisieren: „Ausbeutung des Menschen durch den Menschen“, „Entfremdung“, „Warenfetischismus“, „Kolonialismus“, „Rassismus“…

Da Moskau, Peking und Ostberlin praktisch keine Antworten, sondern nur staatlich gelenkte Mangelwirtschaft anzubieten hatten, verfielen sie auf die Idee, ein Stück Welt-Markt und ein bisschen Binnenmarkt unterm Patronat Kommunistischer Parteien zu organisieren. Eigentlich kein Wunder, denn der Kommunismus ist schließlich ein Gewächs auf dem Holz des Kapitalismus: Irgendwer muss die Arbeit machen, Mehrwert schaffen, der von Politbürokraten in Pläne gefasst und verwaltet wird.

Ob Mosambik, Angola, Äthiopien,… DDR-Waffen in Kriegen begehrt

Sie agieren dabei lautstark als die guten Antiimperialisten. Alle Menschen wollen Geld und Wohlstand, die Politbürokraten versprechen ihnen die Unbedenklichkeit ihrer Version von Wirtschaft im Sinne sozialer Gerechtigkeit und höherer Moral. Es gibt klare Feindbilder. So etwas mögen die meisten. Im Ansehen mancher Staaten Afrikas hatten sie damit zeitweilig einen Kredit, statt knappen Devisen wurde mit Waren bezahlt – vor allem LKW, Waffen und Munition. Die meisten DDR-Bürger buchten das unter Solidarität und freuten sich, wenn’s für die blauen Bohnen der „Kommerziellen Koordinierung“ – so hieß die Fachmannschaft des Stasi Obersten Schalck-Golodkowski – rote Bohnen, also Kaffee, aus Äthiopien gab.

Die SED und ihre Helfer in gleichgeschalteten Parteien – es gab »liberale«, »nationale«, »christliche« und eine der Bauern – konnten sich einfach auf tief ausgetretenen Trampelpfaden anthropologischer, gern religiöser Rituale bewegen, nach denen Menschen in gute und böse einzuteilen waren. Und so läuft es immer noch – so lange nicht dem Wahlvolk die Lücken zwischen Heilsbotschaften und real existierendem Mangel an gelösten Problemen unerträglich werden. Es ist interessant zu beobachten, wie Populisten aller sozialistischen Richtungen sich dann zugleich der folgsamen Masse anbiedern und die enttäuschte Masse als Pack, Pöbel, Plebs etc. beschimpfen.

Machen wir’s kurz, denn 40 Jahre DDR waren lang genug: Politisch vertrauenswürdig ist, wer sein Mandat einer hinreichend großen Zahl von Individuen mit dem Wunsch nach Freiheit und Selbständigkeit verdankt, weil sie ihm zutrauen, sich für ihren Erfolg im (globalen) Markt ebenso wie fürs soziale Umfeld und die natürlichen Ressourcen einzusetzen. Er muss keine Feindbilder ausmalen, keine archaischen Herdenimpulse in Dienst nehmen, er hält stattdessen die Dominanzwünsche von Politbürokraten im Zaum. Staat und Politik sind – wie’s das Grundgesetz vorschreibt – dem Dienst am Wohl des Volkes, lateinisch populus, verpflichtet, nicht der Pfründe von Parteien, ihnen gefälligen Medien und ihren als NGO getarnten Hilfsorganisationen.

Das Grundgesetz – mehr als nur aufgeklebtes Symbol?

Medien hätten eigentlich dem Beweihräuchern von Gewählten und Beamteten sowenig zu dienen wie eigener Machtgier, wenn sie Vertrauen verdienen wollten. Will sagen: Wenn Politbürokraten und ihnen aus offensichtlichem Eigennutz gefällige Journalisten statt über unvermeidliche Interessengegensätze und Konflikte zu informieren, dem Plebs, von dessen Steuern und Zwangsbeiträgen sie leben, über den Mund fahren, verlieren sie ihre Existenzberechtigung. Wenn sie sich dem Alltag, den Mühen der Demokratie – also dem Umgang mit Demos, dem Volk, entziehen, indem sie sich als Vormund aufspielen, dann wollen sie Sozialismus, gegründet auf einer Ersatz-Religion namens Marxismus-Leninismus oder sonstiger Heilslehren von Weltgeltung. Sie dürfen dann wieder gegen Leugner, Ketzer, Renegaten kämpfen – das freie Wort unterdrücken, Bücher, Bilder, Filme und Denkmäler eliminieren. Die Macht gibt ihnen das erhabene Gefühl, zu den Guten zu gehören: Es hat nicht nur hierzulande blutige Millionenopfer gefordert.

DAS BÜNDNIS – eine Farce

ER Da bin ich. Es war wieder ein harter Kampf.

SIE Gleich sagt er wieder, dass ich ihn lieben muss…

ER HÄNGT EIN PLAKAT AUF Das habe ich für dich entworfen.

AUF DEM PLAKAT STEHT: „ALL MEINE LIEBE, ALL MEINE TREUE
GILT UNS!“

SIE …dass er alles für mich tut…

ER Die Frau steht wahrhaft im Mittelpunkt: Du! All meine Fürsorge gilt dir. Das ist der reale
Feminismus.

SIE … wie schlimm die anderen Männer sind…

ER Wenn du wüsstest, wie die Machos die Frauen unterdrücken. Überall entrechtete, betrogene, unterdrückte Frauen.

SIE … dass ich bei ihm in Sicherheit bin…

ER Bei mir genießt du Geborgenheit, eine gesicherte Existenz.

SIE … wie kalt es draußen ist…

ER Ich habe sie gesehen: die Frauen ohne Obdach, ohne Schutz, ohne Arbeit…

SIE … wie ich mich frei entfalten kann…

ER Hast du eingekauft? Ich habe Hunger.

SIE … wie anderswo – was?

ER Ich habe Hunger.

SIE Ich auch.

ER Ich habe dich etwas gefragt.

SIE Ich‘ liebe dich. All meine Liebe, all meine Treue…

ER Nein! Ja. Gut. Aber hast du eingekauft?

SIE Ich habe es versucht. Aber seit du mir das andere Bein auch abgeschnitten hast…

ER Du genießt die vollen Vorzüge unseres Gesundheitswesens, umfassende medizinische
Betreuung und die Einrichtungen zur Rehabilitation. Die Holzbeine aus der von mir
in erfolgreicher Gemeinschaftsarbeit zum Welthöchststand entwickelten Holzbeinproduktion…

SIE Es funktioniert nicht.

ER Lass mich bitte ausreden. (ÄNGSTLICH) Liebst du mich etwa nicht mehr?

SIE All meine Liebe, all meine Treue gehören nur dir.

ER Und nichts verbindet dich mit den bösen, herrschsüchtigen Machos?

SIE Alles verbindet mich mit dir und nichts verbindet mich mit den bösen, herrschsüchtigen Machos.

ER Alles für dich, alles durch dich, alles mit dir. Hast du eingekauft?

SIE Ich bin zu spät gekommen.

ER Das ist unmöglich. In meinem umfassenden Programm der entwickelten Strategie des Warenerwerbs unter den Bedingungen der verschärften Auseinandersetzung mit den Machos habe ich in schöpferischer Anwendung der Lehren der Klassiker des Feminismus nachgewiesen, dass wir dem Machismo um eine ganze historische Epoche voraus sind.

SIE Mit einem Holzbein ging es ja auch noch ganz gut, wenn ich mich sehr angestrengt habe, aber…

ER Wie redest du denn?

SIE Es gab objektive Schwierigkeiten.

ER So?

SIE Die Einsparung des Kniegelenks an dem zweiten Holzbein…

ER Vertraust du mir etwa nicht?

SIE Doch aber es funktioniert nicht.

ER Die Neuentwicklung erfolgte auf streng wissenschaftlicher Grundlage. Planmäßig hättest du die anderen überholen müssen.

SIE …ohne sie einzuholen. Ich weiß. Aber ich bin gar nicht erst auf die Beine gekommen

ER Du hast uns schweren Schaden zugefügt. Bist du dir dessen bewusst?

SIE Ich kann nicht mehr. Ich kann nicht schneller, Die anderen haben Rollstühle. Außerdem habe ich Hunger.

ER Eben. Du isst zuviel. Deine Ansprüche übersteigen unsere Möglichkeiten. Jetzt willst du auch noch einen Rollstuhl. Dabei habe ich schier unermessliche Mittel in die Einsparung des Kniegelenkes investiert. Das hat man von seiner Großzügigkeit. Manchmal wünschte ich, ich könnte die Methoden der Machos …

SIE Ja?

ER Fressen, fressen; das ist alles, woran du denkst. Fressen und Rollstuhlfahren. Denkst du auch daran, dass man für Rollstühle dort nicht nur die Beine, sondern die eignen Kinder verkauft? Denkst du auch an die armen Frauen mit den
abgeschnittenen Ohren?

SIE Abgeschnittene Ohren! Das ist schrecklich.

ER Damit nicht genug. Es gibt welche, denen man den Mund zuklebt, die sich den Gehörgang selbst zustopfen, damit sie nichts mehr hören von all dem Elend. Keiner hört überhaupt auf irgendwen. Es gibt keine Werte. Keine Moral.

SIE Schrecklich.

ER Da fahren sie herum, in ihren Rollstühlen: ohne Beine, ohne Ohren, immer auf der Jagd nach Fressen und hören nicht, wenn jemand leidet und um Hilfe schreit.

SIE Das stimmt. Sie hören nichts. Sie sind so schnell an mir vorbeigefahren, dass ich nichts erkennen konnte, und ich bin zu spät gekommen. Niemand hat mich um Hilfe rufen hören.

ER Ich höre dich immer. Ich höre dich, ich sehe dich, bei mir bist du geborgen. In Sicherheit.

SIE Ja.

BEISCHLAF

ER Du musst jetzt einkaufen gehen. Es ist für uns, für unsere Zukunft, für die gemeinsame Sache, für unser Kind. Es ist eine Frage des Bewusstseins.

SIE Für unser Kind … Für den Feminismus.

ER Für uns.

SIE Für uns.

SIE RAPPELT SICH AUF, FÄLLT WIEDER HIN

SIE Mit zwei Beinen war ich schneller.

ER Willst du damit sagen, dass das System falsch ist? Unser System? Willst du unsere Errungenschaften in Frage stellen? Das Gesundheitswesen, das dich keinen Pfennig kostet? Unsere Macht, die uns zur Beherrschung der Natur verholfen hat? Die Rolle der Arbeit bei der Menschwerdung des Affen? Beine! Wir beherrschen die Technik, wir sind der Natur überlegen. Beine! Wo wir fliegen können!

SIE Zum Einkaufen?

ER Zum Einkaufen! Jawohl! Sollen sie doch mit ihren Rollstühlen herumfahren, ohne Planung und Leitung. Wenn du nur willst, beweisen wir unsere Überlegenheit. Wir fliegen.

SIE Fliegen. Bas wäre schön.

ER Wir brauchten überhaupt keine Kniegelenke mehr. Wir könnten sie völlig einsparen.

SIE Darf ich nicht wenigstens eines behalten?

ER Wo denkst du hin. Auf diesen Sieg über die Natur werden wir nicht verzichten. Allerdings…

SIE Ja?

ER Es gibt da ein Problem…

SIE Welches?

ER Die Machos versuchen offensichtlich, sich einen Vorsprung zu verschaffen. Sie arbeiten an der Reduzierung des Luftwiderstandes.

SIE Des Luftwider …??

ER Des Luftwiderstandes. Jedes fliegende Objekt hat ihn. Auch du. Wir müssten ihn drastisch herabsetzen. Die abgeschnittenen Beine sind eine großartige Errungenschaft! Sie reduzieren den Energieaufwand für den Flug fast um
die Hälfte, aber der Luftwiderstand…

SIE Was ist damit?

ER Du hast so schrecklich abstehende Ohren.

SIE Was?

ER Damit geht es natürlich nicht.

SIE Was?

ER Fliegen. Zum Einkaufen fliegen. Fliegen für unser Kind, für unsere Zukunft.

SIE Ich verstehe nicht.

ER Es ist eine Frage des Bewusstseins, der Werte, der Moral. Wir brauchen eine große freiwillige Initiative von dir. Wenn du fliegen willst, müssen wir die Ohren abschneiden. Du willst doch fliegen für uns, zum Einkaufen? So wie du bist, kannst du es nicht schaffen. Mit diesem schrecklichen Luftwiderstand.

SIE Nein.

ER Du weigerst dich?

SIE Ja.

ER Du stellst dich gegen den Fortschritt?

SIE Ich habe immer alles getan, was du von mir verlangt hast.

ER Wir. Was wir von uns verlangt haben. Soll das alles umsonst gewesen sein?

SIE Ich möchte nur meine Ohren behalten.

ER Das ist egoistisch, kleinlich, reaktionär.

ER ZIEHT EINE BANANE HERAUS,ISST.

SIE Woher hast du die Banane?

ER Hart erarbeitet. Auch du könntest Bananen essen, wenn du mehr Initiative zeigen und es dir nicht auf meine Kosten bequem machten würdest.

SIE Woher hast du die Banane?

ER Darüber bin ich dir keine Auskunft und schon gar keine Rechenschaft schuldig. Gerade jetzt, wo du dir jedes Vertrauen verscherzt hast, kann ich dir unmöglich derart wichtige, geheime Informationen geben. Bewähre dich.
Lerne fliegen. Dann könntest du die erste beim Einkaufen sein und wir hätten immer Bananen.

SIE Ich habe Hunger.

ER ZIEHT EINE ZWEITE BANANE HERAUS

ER Ich könnte dir etwas abgeben. Als Vertrauensvorschuss sozusagen.

ER HÄLT IHR DIE BANANE VOR DIE NASE. SIE SCHNAPPT DANACH, ER ZIEHT DIE BANANE WEG.

ER Natürlich müsstest du etwas guten Willen zeigen.

SIE Was soll ich tun?

ER Die erste Etappe der freiwilligen Initiative „Flug zu den Bananen“ beginnen. Wenigstens ein Ohr muss fallen.

SIE Nein. Nein. Nein.

ER Gut. Damit ist alles klar. Du hemmst unseren Aufbau. Du stellst alles in Frage. Du machst dich zum Bundesgenossen unseres Gegners. Du weißt, wozu du mich zwingst.

SIE Ich will doch nur meine Ohren behalten.

ER Meine. Meine. Das ist die Sprache des Feindes.

SIE Du hast doch selbst gesagt, dass die Machos Ohren abschneiden.

ER Du vergleichst MICH mit den Machos? Mich, den Befreier vom Machismo?

ER STÜRZT SICH AUF SIE, SCHNEIDET EIN OHR AB, ISST ES AUF, HAT EINEN ORGASMUS.

ER Es tut mir leid, aber ich musste diese Maßnahme ergreifen. Das wirst du einsehen. Der Feind ist überall. Mitten in unseren Reihen. In dir. Ich bin über dein Versagen tief betroffen, es schmerzt mich. Nur die tiefe Sorge um dich hat mich bewogen, einzugreifen, denn unsere Errungenschaften müssen geschützt werden. Es lebe das Bündnis von Mann und Frau. Nieder mit dem Machismo!

SIE Wohin gehst du?

ER Ich muss mich erholen. Der Feind könnte die kleinste Schwäche auf unserer Seite nutzen. Ich muss stark sein für uns, für unser Kind, für unsere Zukunft.

ER LEGT IHR MESSER UND VERBANDPÄCKCHEN HIN.

ER Wir brauchen dich. Auf dich kommt es an. Mach mit! Flug zu den Bananen!

ER VERSCHWINDET.

SIE Manchmal möchte ich weglaufen. SIEHT SICH ÄNGSTLICH UM

SIE Einfach weg. Weit, weit weg, egal wohin. Wenn er das wüsste. Ich glaube, er schlüge mich tot.

Wenn ich Beine hätte. Ja. Oder wenigstens einen Rollstuhl. Aber so; ohne Beine bei den Machos. Ganz allein. Eine unter vielen, ohne Arbeit, ohne Obdach. Ohne Chance gegen die Machofrauen. Ohne Rollstuhl und mit dem hohen Luftwiderstand.

Jetzt ist er nur noch halb so hoch.

Ich bin schlecht. Ich bin egoistisch. Wir haben so lange zusammen gelebt und ich will alles im Stich lassen: die Sicherheit und Geborgenheit, die er für mich geschaffen hat, meine Arbeit, unsere gemeinsame Zukunft, den
Feminismus. Unser Kind.

Ich bin schlecht. Er ist so stark und ich bin so feige. SIE NIMMT DAS MESSER.

Trotz allem vertraut er mir.

Für unser Kind, unsere gemeinsame Zukunft. Flug zu den Bananen! SIE SCHNEIDET DAS ANDERE OHR AB.

ER WIRD VON EINER JUNGEN SCHÖNEN FRAU HEREINGEROLLT, IN EINEM WUNDERBAREN ROLLSTUHL

ER Es ist erreicht! Sie haben mich anerkannt! WIRFT IHR EINE BANANE ZU.

ER Wir rüsten ab. Wirf das Messer weg, oder besser: gib es her.

SIE Wer ist das?

ER Das ist das Neue Wesen. Das Neue Wesen in unserem gemeinsamen Haus.

SIE Sie hat Beine, sie hat Ohren, wer ist sie, wo kommt sie her?

ER Meine Initiative war erfolgreich, alle haben es erkannt: wir brauchen das Neue Wesen. Schluss mit den Kämpfen, Schluss mit der Unterwerfung der Natur. Gib das Messer her.

SIE Wo kommt ihr her, woher hast du den Rollstuhl?

ER Gib sofort das Messer her.

SIE VERSUCHT SICH AUF DAS NEUE WESEN ZU STÜRZEN. KURZER, HOFFNUNGSL0SER KAMPF; ER NIMMT IHR DAS MESSER WEG, DROHT IHR.

ER Es wird nicht mehr gekämpft. Spürst du nicht, wie die Luft frischer und leichter wird, wenn das Neue Wesen auftritt?

ER KÜSST DAS NEUE WESEN

ER Natur! Natur!

SIE Du warst bei den Machos!

ER Und sie mussten mich endlich anerkennen. Es waren zähe Verhandlungen. Gefällt dir der Rollstuhl? Es ist das neueste Modell.

SIE Du hast gesagt, es gibt dort nur Frauen ohne Beine und ohne Ohren.

ER Die meisten. Ja. Aber jetzt lebt man dort wieder natürlicher. Wir haben uns geeinigt. Keinem wird mehr weh getan. Ohne Grund.

ER STREICHELT SIE, SIE STÖSST IHN WEG.

SIE Was wird aus mir, was wird aus unserer
gemeinsamen Zukunft, unserem Kind.

ER Seine Beine sind in guten Händen.

SIE Du hast es verkauft, für das neueste Modell. An die Machos.

ER Wir haben jetzt ein GEMEINSAMES HAUS. Bananen für alle, Rollstühle für alle. Irgendwann.

SIE Es ist noch nicht einmal geboren, und du hast es verkauft.

ER Es wäre sowieso kein besonders schönes Kind geworden. Von einer Frau ohne Beine, ohne Ohren. Was wäre das schon für eine Zukunft. Die Zukunft gehört dem Neuen Wesen. Wir haben uns geeinigt, alles wird gut.

SIE SCHREIT. DAS NEUE WESEN KLEBT IHR DEN MUND ZU.

ER Alles wird gut.

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Das Unrecht anderswo – und unser Recht

Goya_War2Wenn wir wollen, dass in als "Gottesstaat" verfassten Ländern ein anderes Denken, andere Haltungen Wurzeln schlagen als die despotische Mechanik von Befehl und Gehorsam,  dann müssen wir Demokratie vorleben. Werte wie das Recht auf Bildung, freie Meinungsäußerung, eine Justiz ohne religiöse, sonstwie ideologische, genderspezifische, von Macht und Eigentum diktierte Präferenz; der Verzicht auf von Feindbildern getriebene Eskalation in Konflikten verstehen sich auch bei uns nicht von selbst. Geld- und Machtinteressen widersprechen demokratischen Regeln, werden sie gebrochen, ist das Stoff für die Propaganda autoritärer Systeme.
Andererseits: Jeder Mensch kann Demokratie und Menschenrechten bei uns voran helfen – egal woher er kommt oder wofür er eintritt. “Auch das schlechteste Modell taugt, etwas daraus zu lernen”, sagt der Physiker. Hören wir also genau zu, wenn sich Menschen kritisch “gegen den Westen” äußern; zahlen wir Hetzern und Pöblern nicht mit gleicher Münze zurück. Es mag uns gegen den Strich gehen, aber wir wollen Konflikte intelligenter lösen, nicht Gleiches mit Gleichem vergelten – oder?
Diktaturen sind gekommen und gegangen, überall. Was sie an ihr Ende brachte, wirkt fort, wenn wir im politischen Alltagsreden und -handeln nicht ängstlich auf das Steinzeitmodell des "Draufschlagens", geschweige das des totalitären "Ausmerzens" zurückfallen. Das bedeutet freilich, nicht auf einfache Lösungen zu hoffen. Das folgende Gedicht entstand in den 80er Jahren – es mag als Lyrik wenig taugen, erledigt hat es sich darum noch nicht.

Überall Krieg …

mit verbundenen Augen

Stürzen sich Kinder in Schwaden von Gift

Einpeitscher leiern den Trauergesang

Heizen den Hass und feiern den Mord

Nie waren die Listen der Toten so lang

Nie profitabler die Waffen verschifft

Nie die Welt so ein einziger Ort.

Überall siegen, die da reden vom Sieg

Reden von Gott oder Revolution

Masken von Geld und Macht

Reden von Ehre und Nation

Krankheit und Hunger leben davon

Und überall wird Nacht.