Wovon Medien – themenunabhängig – leben

Unser Gehirn hat ein Problem: “WARUM” ist seine Lieblingsfrage. Und die Antwort erfolgt reflexhaft – seit Millionen Jahren. Was das für unsere Wahrnehmung und unser Zusammenleben bedeutet, damit befasst sich Kapitel 4 in “Der menschliche Kosmos”.

4. Kapitel

Mir nützt, was anderen schadet – das egozentrische Weltsystem
Wahrnehmung und Wahrnehmungsfehler des egozentrischen Weltsystems. Rollenspiele vor der Gaskammer. Mitleid und Schadenfreude als soziale Schmiermittel.
sündenbockDas älteste und unentbehrlichste Haustier des Menschen ist der Sündenbock.
Dieses Tier besitzt einige erstaunliche Eigenschaften: Es ist praktisch fast überall und jederzeit verfügbar, ohne dass es anwesend sein müsste. Seine Gestalt ist von unbegrenzter Mannigfaltigkeit: gerade war es noch der Nachbar mit seinem knatternden Rasenmäher, da nimmt es schon verallgemeinert die Form einer stinkenden, umweltzerstörenden Autolawine an, beschleunigt jäh bis zum Überschallknall eines Militärjets. Die Fratze der Kommunisten erscheint kurz im Abgasstrahl. Die Menschen schütteln noch die Fäuste gegen den Himmel, da plumpst der Sündenbock ihnen als Kohlendioxyd speiender amerikanischer Politiker vor die Füße. Der aber löst sich sofort in Nebel auf: „Die CIA!“ raunt es dunkel. „Die Illuminati“, grunzt der populärwissenschaftlich gerüstete Papa und greift zum Bier. Auf dem Bildschirm erscheint ein mit professoralen Weihen geadelter Sachverständiger und schickt sich an, den Schuldigen des jeweiligen Elends dingfest zu machen, aber plötzlich verlischt das Bild.
„Vanessa, du kleines Mistvieh, leg sofort die Fernbedienung auf den Tisch“, kreischt die Mama, es folgt das Geräusch eines schweren pädagogischen Missgriffs und das Geplärr jener kleinen, schwachen Figur, in die der Sündenbock gerade inkarniert ist.
Vom Sündenbock lässt sich nur eines mit Sicherheit sagen: er ist schuld. Niemand hat meines Wissens – und das grenzt in der Ära des quantifizierenden Denkens an ein Wunder – genau quantifiziert, wie viel Zeit Menschen im Laufe ihres Lebens mit der Jagd nach dem Sündenbock verbringen. Es ist sehr viel. Denn nicht nur die wirkliche Jagd – etwa auf den Pfuscher am Arbeitsplatz oder in der Verkehrsbehörde – frisst ja Zeit, auch die Beschreibungen, Analysen, Klassifizierungen seiner politischen, wirtschaftlichen, moralischen Erscheinungsformen müssen dazu gerechnet werden, seine Auftritte auf Bühnen, in Film, Funk, Fernsehen und Computerspielen, in Büchern und Zeitschriften. Genaugenommen sind wir mit wenig anderem so ausdauernd beschäftigt wie mit ihm, dem Sündenbock, oder anders gesagt, damit, Feindbilder zu zeichnen und Schuld zuzuweisen.
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Wetterwut und Klimawahn

2013-05-12 14.16.15Dass wir ein trübes, graues und niederschlagsreiches Jahr erleben, ist nicht ungewöhnlich. Aber es fordert den gewöhnlichen Voluntarismus heraus. Es empört ihn. Er hat sich an den Gedanken gewöhnt, die Welt, also auch Wetter und Klima, ließen sich nach seinen Wünschen einrichten. Die Natur hat sich gefälligst auf Wochenenden, Brückentage und Urlaubsplanungen einzustellen. Schlechtes Wetter darf stattfinden, wenn Mensch einer – oft mit Verdruss ausgeübten – Erwerbstätigkeit nachgeht, wenn also Sauwetterzeit nicht Freizeit ist. Diese Freizeit ist des modernen AnGestellten Heiligstes, schon der Nachwuchs wird in den Schulen entsprechend konditioniert.

Entlockt ihm die Drohung, das Industriezeitalter, dem er Wohlstand, Gesundheit und eine stark erhöhte Lebenserwartung verdankt, münde in eine Klimaerwärmung, nur ein Lächeln, da sie ja den Ostseeurlaub dem auf Mallorca gleichstellt, wecken kalte Wintertage seine Spottlust gegenüber den Propheten der Potsdamer Klimakirche mit Erzbischof Schellnhuber an der Spitze, so werden ihm doch Wochen mit undichten grauen Wassersäcken am Himmel zur Seelenqual. Kein Grillabend, nirgends.

So etwas empört alle. Der Einzelhandel gerät aus dem Rhythmus der Grillkohle- und Schlussverkäufe, Gastronomen leiden Not, Energiepreise steigen, Spargel und Erdbeeren sind teuer und geschmacksarm, Depressionen werden endemisch. Nur eines ändert sich nicht: die Massen von Müll wachsen und verwandeln als Abgase, Abwässer, Abfalldeponien,  Lichtverschmutzung unseren Planeten in einen unheimeligen, gar unheimlichen Ort. Immer weniger Reservate taugen, dem Urlaubenden ein Gefühl heiler, sonniger Natur (“Die Sonne schickt uns keine Rechnung!”) vorzugaukeln – sich dorthin zu flüchten, wird zum Privileg der Superreichen.

Tiere und Pflanzen haben’s leicht: Sie passen sich an oder sterben aus. Das will der Voluntarist nicht. Er sucht sein Heil bei Windmühlen, Solarzellen, E-Mobilen. So kann er weiter produzieren, verkehren, verzehren. Dass Windmühlen, massenhaft in die Landschaft gestellt, die Energieflüsse der Atmosphäre verändern, dass Hoch- und Tiefdruckgebiete bei derart veränderten Randbedingungen sich umgestalten, so dass Wolkenzüge womöglich nicht mehr abreißen, dass Europa, Ort sauberer Fabriken, seine weniger sauberen Fertigungsstätten für Solarmodule, seinen exorbitanten Ressourcenverschleiß, seinen Müll überallhin exportiert, ist dem vom Regen gequälten Moralökologen Tofu. Wurst ist ihm verdächtig, der eigene Verschleißanteil an Natur nicht. Er will bleiben wie er ist: Die Umweltschweine sind die anderen. Also sollen gefälligst die Chinesen, Inder, Indonesier, Brasilianer darauf verzichten, europäischen oder US-amerikanischen Lebensstandard zu erreichen. Sie machen schließlich den meisten Dreck und Kernkraftwerke betreiben sie obendrein.

Und jetzt kommt’s: Die Natur spielt dabei einfach nicht mit! Ausgerechnet den Saubermännern verhagelt sie die Freizeit! Dabei war es doch so wunderbar, Opfern von Hurricans, Tornados, Tsunamis, Fluten, Waldbränden, Erdbeben mit überreicher Barmherzigkeit zu demonstrieren, dass Wohlstand mit überlegener Moral einhergehen kann, wenn nur die richtigen Weltbilder den Blick auf die Müllberge, Gaswolken, Giftströme verstellen, die vom eigenen Territorium in entlegene Weltgegenden verschoben werden! Was tut die Natur? Sie bestraft das gute Gewissen durch Monate schlechten Wetters! Und niemand spendet für die tiefdruckverfolgten Deutschen!

Da kann doch irgendetwas nicht stimmen!

Die wunderbaren Stacheln der Rose

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Ein Wunder: Die Weihnachtsrose auf unserem Balkon

Mal ganz ehrlich: Ich pfeife auf weiße Weihnacht. Voriges Jahr war’s toll: ein Geschenk des Himmels, Schnee nach Herzens Lust – und ein satanisches Geheul wegen von Autos unbefahrbarer Straßen. Weg mit dem Winter!

Und – ach! Klimawandel soll doch auch nicht sein! Weg mit Kohlendioxid also! Weg aber auch mit kohlendioxidfreien Atomkraftwerken – weil die ja irgendwie riskant sind. Dass der ganze Industrialismus, dass die Verpflichtung von Menschen auf Konzerninteressen viel riskanter sind, wird nach bewährtem (Stalingrad-)Muster ausgeblendet. Wir wollen ein Klima, das den Wünschen der Mitläufer entspricht.

Genau das versprechen diejenigen, denen die Weihnachtsbotschaft "Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen" egal ist: sie wollen sich um jeden Preis durchsetzen – mit ihrem Glauben an "Saubere Energie", an irgendeine Technik, die ihnen die Verantwortung abnimmt für den Schnee und den Müll vor der eigenen Tür.