Königs-Spiele

Das folgende Gedicht ist nicht aus aktuellem Anlass entstanden. Gaddafi ist nicht der erste, gewiss auch nicht der letzte Narr mit Ambitionen und einer zahllosen Gefolgschaft, die nach seinem Tod nahezu unsichtbar wird. Sein Nachlass ist einschüchternd: freigesetzte Waffenarsenale für neue Massenmorde

Die Kaiser starben und die Könige sind

Nur Marionetten auf globaler Bühne.

Die Generäle kämpfen in den Wüsten

Im Hochgebirge herrschen die Tyrannen

Von Erdgas’, Koks oder Petroleums Gnaden

Und Stammesfürsten schürfen aus den Minen

Was Weltmarkt ihnen lässt für ihre Konkubinen.

Der neue Mensch nach Marx und Mao schafft

Sich einen neuen Herrn und er erkennt

Darin sich selbst. Und fürchtet sich gar sehr

Vor all den alten, bösen Potentaten

Die aus der Menschen Knochen, Blut und Schweiß

Sich Pyramiden schufen. Jeder weiß

Inzwischen, dass die Greueltaten

Der alten Zeit – nur etwas umverteilt

Dem neuen Menschen heut den Wohlstand schaffen.

Er liefert der Gewalt die stärksten Waffen

Gern zahlt er dann für des Gewissens Ruh

Gebühren für medialen Weihrauch zu.

 

Herbstgesang

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Die Sonne geht wieder schlafen
Fürs dunkle halbe Jahr
Der Nebel lümmelt am Fluss
Die Sonne sagt: Ich muss
Einmal krankfeiern dürfen
Vergessen, vergessen
Dass ich so lange und immer zu Fuß
Für euch am Himmel war.

Ich geb noch den Blättern die Farben
Aus Wolken wird mein Bett
Schreit nicht, es werde zu kalt
Bedenkt, ich bin schon alt
Sah Welten entstehen
Vergessen, vergessen
Wie Völker und Heere – es gab keinen Halt
Am eigenen Dasein starben.

Genießt eure künstlichen Monde
Es lohnt ein jedes Fest
Verbaumelt ruhig etwas Zeit
Die Zeit ist unser Kleid
Dessen Farben verblassen
Vergessen, vergessen
Viel zu geschwind – dann ist es soweit
Es hilft uns kein Attest.

Dann liegt auf gestorbenen Träumen
Ein Leichentuch aus Schnee.
Schon ist das Jahr vorbei
Und mit Lichtern und Lärmen
vergessen, vergessen
wir Winter und Trauer – wie tief sie auch sei
nichts dürfen wir versäumen.

Vom Überleben

Immer wieder einmal werde ich gefragt, wie ich in den schlechten Jahren im Osten klarkam: Mit dem Wissen, nie mehr eine qualifizierte Arbeit tun zu dürfen, mit der Ungewissheit, ob es nicht statt in die Freiheit erstmal in den Knast gehen würde. Statt mit Schauspielern Theaterstücke zum Leben zu bringen jobbte ich als Kellner, meine Texte, von Hand niedergeschrieben, weil ich meine alte Reiseschreibmaschine verscherbeln musste, hatten keine Chance, je veröffentlicht zu werden.

Aber eben dieses hoffnungslose Schreiben nährte – wie auch die Lektüre z.B. von Saul Bellow, James Baldwin, García Marquez – die Hoffnung. Wie viele andere “Ausgereiste” machte ich im Westen die Erfahrung, dass meine Texte kaum jemanden interessierten. Wenige gut vernetzte, von den Medien pars pro toto in die erste Reihe gestellte Autoren des Ostens sind bis heute Feigenblätter überm Desinteresse an östlichen Konflikten und Biographien.

Mauerblick

An den – inzwischen ein Vierteljahrhundert alten – Texten merke ich manchmal, wie ungelöst Konflikte, wie intransigent Grundhaltungen in meiner Biographie sind. “Gehört in ’ne Klapsmühle, der Typ”, kommentiert nicht nur der Kollege vom MfS 1987.

Abgesang

Heute will ich wieder trinken

und ich will die Schwäche feiern

dankbar lauschen, wie der Wind

wie der Regen niederprügelt

auf die brüchigen Fassaden

die für uns die Zuflucht sind.

Heute will ich wieder lachen

über alle Mauerbauer

über alle Pläneschmiede

über alle Großverdiener

und Versicherungsexperten

und die Heere ihrer Sklaven

denen ich als Narr erscheine

und ich will ihr Alptraum sein.

Will als Mehltau ihrer Wünsche

ihre Hoffnung Lügen strafen

und aus ehernen Tabellen

zitternde Fraktale treiben:

Alle Mauern werden fallen

Wind und Wolken werden bleiben.

Herbstnah

Blick über Blumen in den Wald

Abschiedsblüte

Der Wald beginnt nach Sterbenszeit zu duften
Die Blüten nicken Abschied vom Balkon
Im Fernsehn hören wir von großen Schuften
Den kleinen Gangstern geben wir Pardon.

Wir selbst begehen ja nur kleine Morde
Wir spucken ab und zu in ein Gesicht
Wir fühlen uns bestätigt von der Horde
Alleingelassen fühlen wir uns nicht.

Alleingelassen sind wir ganz alleine
Wie nachts ein Kind, des Mutter ging davon
Und nahm die Hand von ihm, die warme, feine
Und sichere Hand und den vertrauten Ton.

Wie welke Blätter sinken unsere Herzen.
Wir fliehn in Lärm und Licht und Witz und Braus.
In kalte Fesseln legt der Herbst das Haus
Und unsere Blicke flackern mit den Kerzen.
Wir sind in Not. Die Fenster werden trübe.
Der Arzt sagt: das sind depressive Schübe.

Lebewohl

Großmutter

Transparenz des Alterns

Die Sonne seh ich wandern durch mein Zimmer
Gesichte, Düfte, Laute lass ich ein
Ins träge, wolkenhafte Einsamsein.
So wünsch ich mir die Sommertage immer.

Im Schatten krummgewachsener Fachwerkgassen
Den Blättern lauschend unterm Lindenbaum
Schmeck ich den kühlen Quell im Fiebertraum
Kann deine weich und rauhe Hand erfassen.

Die Rosenblüten sagen: es ist Zeit
Und Gräser nicken uns ihr Lebewohl.
Was niemals blüht, ist keinem Tod geweiht
In jedem Augenblick ist Ewigkeit
Das Flüchtigste ist unser Ruhepol.

Dom zu Naumburg

Mosaikbild von anna Knauth 1855

Annas Fenster 1855

Du stiller Schatten. Kerzenduft, verbrannt
Noch duftend nach verwehter Hoffnung
Heimlichen Wünschen, Träumen, barmender Verzweiflung
Nach meiner Ahne ahnendem Erschauern.

Du Stein. Du höchste Kunst in höchsten Nöten
Du Botschaft, wundersam und unerhört.
Du Friedensschauplatz, unruhvoller Hafen
So fern den Meeren, nah den Galaxien
So voll Gesichter, Stimmen, Sinfonien
Ich wünscht’ in dir den letzten Schlaf zu schlafen.

Fortsetzung folgt

Brunnen unterm Lindenbaum im Schwarzwald

Sommernacht - Lesenacht

Allen, die gekommen waren, war’s ein Vergnügen, allen, die mitgeholfen haben, eine gelungene Arbeit. Das „Badische Tagblatt“ bestätigte in einem Artikel am 21.8.  den Veranstaltern den Erfolg. Deshalb wird die Reihe „Leben Lesen“ fortgesetzt mit noch mehr guten Texten von hoffentlich vielen Interessierten Autoren, Geschichtenerzählern, Musikern.
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Leben Lesen am 19.8. 19 Uhr

Literaturabend im Schwarzwald

Jugendzeit und Sommernachtsträume

Der Erinnerung die Zügel lassen, träumen, was war – oder hätte sein können. Das ist der Stoff, aus dem Romane werden.

Wer Lust hatte, Geschichten zu hören, selbst eine Geschichte zu erzählen, war eingeladen zu einem Sommerabend mit Literatur und Musik, umgeben vom schönsten Schwarzwaldpanorama weit und breit. Immerhin 25 Literaturfreunde kamen, darunter der 90jährige Autor Georg Polomski, der mit seinem Humor in Gedichtform und durch eine ansteckend fröhlich vorgetragene Kurzgeschichte die Zuhörer beeindruckte. Gregor Goller las eigene Gedichte; besonnene Poesie wechselte mit Witzigem im Stil von Heinz Erhard.
Die Buchhandlung Wild präsentierte zum Thema passende Bücher; nach der Gesprächsrunde traf sich eine gesellige Runde in den nahe gelegenen „Eckbergstuben“, um weiter zu plaudern.
Der Abend war ein gelungener Auftakt zu weiteren Veranstaltungen dieser Art unter der Überschrift „Leben Lesen“
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Sommer

Rosenblüte, rot

Blühen und Vergehen

Sommer
Komm, meine Sonne, tränke meine Haut
mit Lichtgefühl, durchdringe meine Lider,
erweck die Düfte aller Sommer wieder
und alle Blüten, die ich je geschaut.

Mach aus der Zeit ein kosmisches Gewebe
und schmilz die Uhren ein zu schwarzem Schaum.
Zieh mich auf deiner Bahn zum Weltensaum,
mach mich zum Augenblick, in dem ich lebe.

Tags: Gedicht,

Windsbraut

Das Gedichtchen stammt aus meiner Studienzeit – Anfang der 70er Jahre in Berlin, als ich sehr verliebt war und verwirrt. Einiges davon findet sich in „Babels Berg“

...was die Welt im Innersten zusammenhält ...

...was die Welt im Innersten zusammenhält ...

Ein Apfelsinenmond lugt zwischen Ästen

Mit Frühlingsahnung kokettiert der Wind

Spielt mit dem S-Bahn-Rattern aus dem Westen

Er wirft mit Staub und macht uns beide blind.

Das schadet nichts, wer küsst braucht nichts zu sehen

Und zaust er unsre Haare noch so sehr:

Nur Wetterhähne lassen leicht sich drehen

Ein Liebespaar verträgt schon etwas mehr.

Vergessene Sprache

Besser zuhören ...

Bitt euch, ihr edlen Damen, hohen Herrn
Wollt ab und zu mit uns die alte Sprache sprechen
Die aus dem Urlaut kommt, von Herkunft und Geburt.
Wollt nicht das ängstliche Gestammel unterbrechen
Das keiner Taktik unterworfen wurd.

Bitt euch: gestattet manche rauen Töne
Und lasst dem Schmerzgeplagten seine Litanei
Das Wahre ist ganz sicher nicht das Schöne
Wo Schöntun herrscht, Doktrin und Heuchelei.

Die Rede dient dem Zweck, die Sprache ist –
Wie Leben selbst – so krumm und wild und frei.
Nehmt nicht für Sprache ihr gefrornes Bild
Hört auf die Laute, formlos, frei und wild
Vergesst, was ihr schon lange von uns wisst
Habt nicht das letzte Wort, sucht nicht nach letztem Schrei
Hört auf die Sprache, die sich selbst vergisst.