Geld und Marx: Das Paradies

Breshnew_Honecker1972,_MiNr_1760Kapital sei Mehrwert heckender Wert, sagte Marx, und prognostizierte dem Kapitalismus eine große Zukunft, die alle Nationalstaaten auflösen, an deren Ende freilich der auf dem Holze der bürgerlichen Gesellschaft gewachsene Kommunismus die Alleinherrschaft antreten werde. Was daran funktioniert hat: Das parasitäre Wuchern politbürokratischer Organisationen, die mehr oder weniger den Dogmen von Marx und Lenin folgten. Dort, wo sie den Kapitalismus seine Arbeit tun lassen, sind ganze Funktionärsgenerationen in Gewerkschaften, Parteien, NGO bestens versorgt. Ihre Anhänger glauben Verheißungen wie der vom Ende der Ausbeutung, von der „Expropriation der Expropriateure“ von allgemeiner Gleichheit, vom Verschwinden jeglicher „Diskriminierung“, womöglich auch dem der Geschlechter; sie wählen Leute, die sie vor allem von der Verantwortung für ihr eigenes Leben befreien, gern auch von der für die Aufzucht von Kindern. Dann ist der Weg frei, sich ins Gestell zu begeben, demnächst volldigitalisiert, damit die Geldmaschinen laufen. China ist vermutlich Pionier der Entwicklung – und am nächsten an Orwells präzisen Szenarien.

Die Symptome des Totalitarismus sind von bequemen Verhaltensritualen maskiert: „Wieso soll gerade ich mich widersetzen? Wenn ich mich weigere, macht ein anderer den Job.“ „Wenn alle anderen das können – wieso du nicht?“ „Was bringt es mir, wenn ich durch Widerstand Schaden nehme?“ „Wer unbedingt auffallen will, muss auch die Folgen tragen.“

Niemand bietet komfortablere Möglichkeiten, sich befürsorgen zu lassen, sich an möglichst keinem Stein zu stoßen, als die Politbürokratie. Wer immer beim Ausgeben von Steuergeldern noch so krasse Fehlentscheidungen trifft, noch so gewaltige Schäden verursacht: Er ist abgesichert. „Organisierte Verantwortungslosigkeit“ heißt das – und ist eine Strategie so tödlich wie ein Krebs: Eigene Zellen paralysieren den Organismus durch Wucherungen und Metastasen, die sich nicht stoppen lassen. Rudolf Bahro hat in seinem Buch „Die Alternative“ 1977 vorhersagen können, wie das Sterben des „real existierenden Sozialismus“ nicht nur in der DDR ablaufen würde.

Wer heute sieht, wie vom Staat finanzierte Zusammenschlüsse – in diversen Rechtsformen aber mit sehr einseitig ausgerichteter Botschaft – ebenso eilfertig Ziele der Politbürokratie propagieren, wie es seinerzeit von Kommunisten initiierte „Massenorganisationen“ für Jugend, Frauen, Sport, Bildung und Kultur taten, wer die Penetranz wahrnimmt, mit der sie Hochschulen, Behörden und Justiz unterwandern, Menschen mit abweichenden Meinungen diffamieren, wie sie das vom Grundgesetz verbriefte Recht auf freie Meinungsäußerung diskreditieren, unterlaufen oder mittels des „NetzDG“ durch private Firmen auszuhebeln versuchen, der wird sich um die Zukunft unserer Gesellschaft sorgen müssen. Es ist angewandter Leninismus: Das Grundgesetz ist solchen Korporationen nur Instrument, eigene Dominanz zu erreichen – und die Deutungshoheit über den Sprachgebrauch ist der erste Schritt.

Politische Parteien und die Regierungen, an denen sie beteiligt sind, haben – so will es das Grundgesetz – Aufgaben im Interesse der Bürger zu erfüllen. Es kann nicht im Interesse der Bürger sein, dass Parteien und ihnen zuarbeitende Organisationen nur zum Zwecke des Machterhalts und der von ihnen bevorzugten Ziele Steuermittel einsetzen, dass sie die Unabhängigkeit der Medien eliminieren, dadurch Kritik an Fehlentscheidungen, Rechtsbrüchen und unerwünschten Entwicklungen erschweren oder gar ersticken.

Das Handeln der Regierung Merkel offenbarte in den vergangenen Jahren vermehrt und immer deutlicher politbürokratische Züge. Der Begriff einer „DDR 4.0“ drängt sich auf, und die „Große Koalition“ will offensichtlich daran nichts ändern. Wem daran liegt, dass Demokratie, soziale Marktwirtschaft, Rechtsstaat in Deutschland und Europa in Zukunft erhalten und weitergeführt werden, der kann diese Regierung nicht unterstützen. Er sollte allerdings nicht darauf hoffen, dass eine Partei – gleich welchen Namens – ihm die Arbeit der Opposition abnimmt. Besser wäre allemal, mit den hoch bezahlten Abgeordneten seines Wahlkreises Klartext zu reden, auch mit Journalisten, Gewerkschafts- und sonstigen Funktionären. Und – ja! – noch ist das Internet ein offener, unkontrollierter Raum für den Meinungsstreit, anders als in China. Nutzen wir ihn – so lange es ihn gibt.

 

 

Paradoxe Politik: Siegen mit der Unschärfe?

Durer_Revelation_Four_RidersMerkelbashing ist eigentlich nicht erst seit dem Sommer 2015 ein Volkssport. Als aber damals die Bundeskanzlerin ziemlich einsam entschied, Deutschlands Grenzen für anströmende Migranten vom Balkan zu öffnen, verlagerte sich die Richtung, aus der sie geprügelt wurde: Prügel kamen nun von rechts, von rechts der Mitte, selbst von liberalen Konservativen. Applaus dagegen brandete bei allen auf, die Deutschland gern sozialistisch und grün gewendet sähen, in der Pflicht, das Elend dieser Welt bis zur Selbstaufgabe zu bekämpfen – zum höheren Ruhm von Funktionären. Sie erblickten in Merkel plötzlich eine Verbündete. Manche fühlten sich in ihrem Furor zum Verbessern globaler Verhältnisse derart angefeuert, dass sie alle Zuwandernden – egal woher und mit welchen Zielen – zu schützenswerten Flüchtlingen ausriefen, jeden dagegen, der auf erwartbare kulturelle, soziale und juristische Konflikte hinwies, mittels unfehlbarem politischen Stempelkasten als Rechten, Rechtspopulisten, Rechtsextremen, Nazi, Rassisten, … (ergänzen Sie hier entsprechendes Vokabular der politischen und journalistischen Phalanx) etikettierten.

Den entscheidenden Rückhalt bekam Angela Merkel allerdings nicht von den aus sicheren Ministersesseln, Abgeordnetenbüros und Redaktionsstuben lobhudelnden und unerwünschte Folgen bagatellisierenden Mitläufern, sondern von tausenden Hilfsbereiten: Menschen, die mit äußerstem Einsatz professionell oder freiwillig daran arbeiteten, Deutschland ein freundliches Gesicht zu geben. Und natürlich freuten sich alle, die von der hoch entwickelten Fürsorgeindustrie profitieren wollten, samt Zulieferern vom Schlepper bis zur NGO. Nörgler und Querulanten dagegen bekamen die geballte Verachtung derjenigen zu spüren, die sich so auf der moralischen und geschäftlichen Siegerstraße sahen. Talkshows der Anstalten, social media, Demonstrationen: Die Fronten wurden scharf, die Methoden der Auseinandersetzung hart bis zur Ausgrenzung von Inländern – Attacken auf die berufliche und geschäftliche Existenz inklusive.

Wechseln wir für einen Moment die Perspektive. Schauen wir mit den Augen jener Politiker aufs Geschehen, die an wachsender Migration Richtung Europa interessiert sein könnten. Wem käme es gelegen, würde die Mitte Europas durch zunehmende kulturelle, soziale, politische Konflikte destabilisiert? Da wäre zunächst Wladimir Putin, der im syrischen Bürgerkrieg eindeutig Position bezogen hat. Russland, wirtschaftlich weitgehend erfolglos, nach dem Bruch des Völkerrechts auf der Krim mit Sanktionen belegt, hat zweifellos Interesse daran, die politische Handlungsfähigkeit der EU (sofern es sie gibt) zu paralysieren und einer gut funktionierenden deutschen Wirtschaft etwas von ihrem Schwung zu nehmen, um als Partner wieder ins Spiel zu kommen. Er hat die „Syrien-Karte“ weidlich ausgereizt. Recep Tayyip Erdoğan erwies sich dabei als eingeschränkt tauglicher Verbündeter. Sein Hauptziel ist das Sultanat mit größtmöglicher Ausdehnung des politischen Islam ins Innere der EU, wobei ihm die Anhängerschaft nicht aller Muslime sicher sein dürfte. Dass Merkel ihm mit dem „Flüchtlings-Deal“ zusätzlichen Einfluss verschaffte, war von kurzem Wert, sein Appetit ist zu groß, die innerislamische Konkurrenz wird sich ihm vorerst sowenig unterwerfen, wie er imstande ist, den Tourismus und andere Wirtschaftszweige erblühen zu lassen. Dem „GröSulZ“ geht es ähnlich wie dem „GröFaZ“: Seine Anhänger jubeln, sähen gern alle Feinde durch Gefängnis, Todesstrafe oder Geburtenüberschuss marginalisiert, aber sonst mag ihn kaum einer. Natürlich hat Egon Bahr recht, wenn er sagt, dass es zwischen Staaten nicht um Menschenrechte und Moral geht, sondern um Interessen. Mag sein, dass persönliche Aversionen dabei meist ausgeblendet werden – gleichwohl gibt es sie, und es ist nicht unwichtig, wie die Mächtigen sie auszuspielen wissen. Das war zwischen Chruschtschow und Mao Zedong so, es ist zwischen Merkel und Putin zu beobachten.

Der Schauspielregisseur bescheinigt der Physikerin nicht nur dabei die größere Cleverness: Sie lässt sich gern unterschätzen. Wie hätten diese Herren (und andere Verehrer des deutschen Grundgesetzes) reagiert, wenn die Bundesregierung mehr oder weniger gewaltsam die Grenzen gegen Zuwanderer geschlossen hätte? Der Versuch wäre zu einer inneren Zerreißprobe geworden. Linke, Grüne, gleichgesinnte NGO, Gewerkschaften, hätten den Bundestag, akkommodiert von der Journaille mit Fluten hässlicher Bilder vom Balkan, sturmreif geschossen. Hilfe von außen? Von der EU? Von der „Lame Duck“ Obama? Glaubt daran irgendwer?

Und damit wende ich mich wieder der deutschen Bühne zu: Angela Merkel öffnet die Grenzen, bleibt in ihren Aussagen so unbestimmbar wie in nicht wenigen anderen wichtigen Entscheidungen. Weiß irgendwer sicher, was sie mit „Wir schaffen das“ meint? Sie bringt jedenfalls Besserwisser auf die Palme. Manche Kaffeesatzleser halten sie für naiv. Aber glaubt wirklich irgendwer mit einem Mindestmaß an Sachkenntnis vom Mediengeschäft, dass sie nach 27 Jahren in der Politik, die längst zur Mediokratie geworden ist, deren Muster nicht erkennen und für ihre politischen Ziele nutzen könne?

Lassen Sie mich weiter fragen: Hat sie die absehbar unvermeidlichen Krisen und Konflikte infolge massenhafter Zuwanderung aus Naivität, aus Verantwortungslosigkeit verschwiegen? Oder hat sie heimlich über die Idiotie der „geschenkten Menschen“ gegrinst, während sie abwartete, dass die Folgen ihrer „paradoxen Intervention“ – nämlich das Inkraftsetzen linksgrüner Wahnvorstellungen zur politischen Realität – sichtbar wurden? Glaubt irgendwer, dass sie ihre Erfahrung mit antibürgerlicher Politik in der DDR vergessen hat?

Im Gegensatz zu den Deppen an der Spitze der SPD, deren Repertoire sich in Gerechtigkeits-Phrasen und dem Aufbau eines sozialistischen Staates im Staat durch steuerfinanzierte SJW-Korporationen nebst willigen „Medienmachern“ erschöpft, vermeidet sie Breitseiten im Stile des Klassenkampfes. Sie wäre töricht, ließe sie Sympathien für die AfD auch nur ahnen. Diese – legale – Konkurrenz hilft ihr, den Pendelschwung zugunsten der bürgerlichen Demokratie angesichts immer offensichtlicheren Versagens linksgrüner Konzepte sowohl in der Migrations- als auch der Energie- und letztlich der Wirtschaftspolitik auszunutzen. Wenn Frau Schwesig, immer noch Ministerin im Kabinett Merkel, Protagonistin im Kampf gegen die Meinungsfreiheit an der Seite des Ministers Maas, sich in einer Talkshow dahingehend äußert, dass die Union wie die AfD argumentiere, dann zeigt das, wie düpiert sich die Dame fühlt. Als hätte die Gabriel-Truppe nicht längst ihre R2G-Träume offenbart. Und als wären sie nicht längst geplatzt wie die Kanzlerträume ihres Genossen Schulz.

Die zurückliegenden Landtagswahlen zeigen – das hoffe ich – vor allem, dass die Bürger in Deutschland sich weder von Politikern noch von Redakteuren öffentlich-rechtlicher Verblödungsprogramme konditionieren lassen. Merkel könnte den Schwung dieser sogleich als „Wutbürger“ (Schwesig) denunzierten Wählerbewegung nutzen, bürgerlich-konservative und liberale Kräfte in Deutschland zu stärken. Ihre „paradoxe Intervention“ in einer kritischen Situation, die Übernahme linksgrüner Migrationspolitik, mag schlimme Folgen für die geduldig arbeitenden Mitbürger, für ihre Partei, für die Zivilgesellschaft gehabt haben: Sie hat einerseits eben diese Politik deutlich, schmerzlich erfahrbar, widerlegt, sie hat andererseits Konfliktlagen klar gemacht, in denen Bürger ihre Stimme erheben und Politiker in die Pflicht nehmen müssen. An den Aufgaben, mit denen sie uns „allein gelassen“ hat, war der Sozialismus längst gescheitert. Vielleicht hat ihr auch der „Brexit“ geholfen, die Lage Deutschlands in der EU anders zu bewerten.

Das Arbeitspensum einer neuen Kanzlerschaft wird nicht kleiner, die Zahl ihrer Gegner auch nicht. Angela Merkel wird niemals die euphorische Massenbasis eines „GröSulZ“, nicht einmal die 100% des SPD-Gröschulz haben. Sie wird früher oder später gehen. Was sie gedacht, unterlassen, bewirkt hat, erfahren künftige Generationen vielleicht aus Geschichtsbüchern. Dass die Schulen dann noch in einer Demokratie unterrichten, die den Namen verdient, kann kein Bundeskanzler garantieren, das können nur Bürger, die Freiheit und Rechtsstaat wollen und beides gegen den Gesinnungsterror von Religionen und Ideologien – egal welcher moralischen oder politischen Färbung – verteidigen.

Enthemmt – und leider nackt

BoschausschnittTummelplätze zivilisierten Umgangs sind die “social media” – Facebook zumal – gewiss nicht. “Ließe sich aus Pöbeleien Elektrizität gewinnen, könnte fb allein die Welt mit Energie versorgen”, habe ich kürzlich gelesen, fand das überzeugend und habe es geteilt. Es wird nichts nützen. Es mag statistisch belegt sein, dass die Menschheit heute weniger Mord, Totschlag, Kriegs- und andere Greuel erfährt als zuvor in ihrer Geschichte: Die gedankliche Bereitschaft, andere zu verletzen, um sich eigener überlegener Kraft und Wertigkeit zu vergewissern, sei beides auch nur eingebildet – diese Bereitschaft dürfte sich statistischen Erhebungen entziehen. Ob “hate speech” beim Imponiergehabe bleibt oder physischer Gewalt den Weg ebnet, ist die eine Frage.

Wenn demokratische Staaten mit halbwegs florierender Wirtschaft und funktionstüchtigem Rechtssystem sich darum bemühen, aggressive und auf Dominanz zielende Impulse von Einzelnen und Gruppen aufzufangen, gar fürs Gemeinwesen produktiv werden zu lassen, indem sie selbst divergenten Kulturen und bizarren Persönlichkeiten Freiräume öffnen und sie erhalten, werden sie zugleich gewärtigen müssen, dass auch die unerfreulichsten Geisteshaltungen sich ihre Nischen suchen. Dann wäre die nächste Frage, ob eine Gesellschaft sogleich mit dem Eisernen Besen “Wehret den Anfängen” üben oder es auf den praktischen Beweis ihrer Reife und überlegener Strategien ankommen lassen will.

Vermutlich bin ich nicht ganz allein, wenn ich unserem Gemeinwesen zutraue, ohne Zensur, ohne staatliche Überwachung à la Stasi, ohne Prüfungen von Religion oder anderen persönlich ausgeprägten Gesinnungen auszukommen. Dass sich gewaltbereite Minderheiten über die Strukturen von Staat und Gesellschaft erheben, Angst und Schrecken verbreiten, Mehrheiten für die Selbstermächtigung gewinnen können wie in Zeiten der Weimarer Republik – fürchten das nicht nur Hasenfüße mit wenig eigenem Engagement für unser dem Totalitarismus und der Spaltung entwachsenes Gemeinwesen? Die Menschen in meiner Umgebung halte ich allesamt für souverän und standfest genug, Dichotomiefallen zu vermeiden, die gern von Medien und Parteigängern des Musters “Wo wir sind, sind die Guten, alles andere gehört zu den Bösen” aufgestellt werden.

Möglicherweise alleine stehe ich da, wenn ich “Filterblasen” in den fb, g+, twitter, xing, linkedin etc. nicht schlimm finde. Für mich bedeutet Freiheit vor allem die Freiheit Nein sagen zu dürfen – und wenn ich keine Lust auf Pöbeleien habe, dann meide ich die Gesellschaft von Leuten, die das Pöbeln als Ausdrucksform ihres Selbstgefühls brauchen und praktizieren. Klar: In jungen Jahren bin ich keinem Scharmützel aus dem Weg gegangen, das ich für unvermeidlich hielt, und ich denke nicht daran, der heutigen Jugend ihre Erfahrungen mit Konflikten zu ersparen – die Jüngeren können angesichts gut entwickelter einschlägiger Methoden sowieso schon vieles besser machen als wir. Wenn sie wollen. Wer allerdings heute nicht die Minimalkriterien gesitteten Umgangs erfüllt, die mir seinerzeit von meiner Großmutter auf den Weg gegeben wurden, dem weise ich die Tür aus meiner Wohnung so gut wie aus meiner “Filterblase”.

Mögen die Parteigänger – egal welcher Glaubensrichtung – in der Demokratie nicht mehr als ihre Chance sehen, aggressiv ihre Vorurteile in die Welt zu setzen und Anspruch auf die eigene Vorherrschaft zu erheben, mögen sie vollkommen enthemmt pöbeln, verunglimpfen, hetzen: Sie zeigen sich nackt. Ich bezweifle, dass dieser Anblick auf viel mehr als Ihresgleichen anziehend wirkt.

Frieden oder Friedhof?

Lenin-statue-in-BerlinNatürlich werden weiterhin diejenigen den Westen als Wurzel allen Übels in der Welt ausmachen, die ihn schon immer so sahen. Dass und wie ihre Wahrnehmung auf Feindbilder fixiert und für die Vernunft unzugänglich wird, hat Umberto Eco in seinem – übrigens brillant recherchierten – Roman “Der Friedhof in Prag” geschildert. Wer weiter an eine jüdische oder westliche Weltverschwörung glauben will, wird sich von Eco sowenig beeindrucken lassen wie vom einschlägigen Kapitel in “Der menschliche Kosmos”.

Der untergegangene “Friedensstaat DDR” im Osten muss in den Erzählungen seiner “Friedensfreunde” auf den neuen Montagsdemos vorbildhaft bleiben, schon weil sie mit dem Argument “Bist du etwa nicht für den Frieden?” – und das bedeutete: gegen den bösen Westen – jeden mundtot machen konnten, der auf sowjetische Kriegsverbrechen in Polen, Millionen Opfer in sowjetischen Arbeitslagern, in den Kampagnen der chinesischen Kulturrevolution und auf den Killing Fields in Kambodscha zu sprechen kam. Es herrschte insofern dort Frieden.

Die Friedensfreunde mit dem rinkslechten Moralfuror sehen auch heute den Westen als eigentlich Schuldigen für die Kriegshandlungen in der Ukraine, für radikal islamischen Terror von Taliban, Al Qaida, Isis, Boko Haram etc. an. Welche Welt wünschen sie sich? Natürlich nicht eine mit entsetzlichen Fehlern und grausamen Irrtümern behaftete, mit ungleich verteilten Gütern und dem unzulänglichen, lernbedürftige Rechtsstaat, wie es die westliche Demokratie ist. Daran müssten sie sich abarbeiten – gemeinsam mit Leuten womöglich, die ihren Pazifismus im Konflikt mit Stasi und DDR-Militärdoktrin gehärtet haben und darum im “Friedensstaat” als “feindlich-negatives Subjekt” verfolgt, inhaftiert, “zersetzt” wurden. Die neuen, besseren Pazifisten müssten sich allerdings fragen lassen, welche persönlichen Konsequenzen sie mit ihrem Pazifismus verbinden: die des Pfarrers Oskar Brüsewitz etwa, den der “Friedensstaat” zum Schweigen brachte?

Wie einfach und effizient ist es doch, sich im verdorbenen Westen stattdessen als einzig wahre Friedensfreunde darzustellen, deren moralische Sendung – kämen sie nur erst an die Macht – die Gewalttäter und Dorftyrannen dieser Welt alsbald ebenso friedfertig stimmte. Beweisen müssen sie das nicht: Ihre Weisheiten verkünden sie aus sicheren Unterständen, nichts ficht sie an. Der Westen schützt – der Meinungsfreiheit verpflichtet – seine eigenen Verächter. Damit widerlegt er freilich die antiwestliche Propaganda einigermaßen überzeugend. Ertragen wir also – wie Joachim Gauck – die Hasstiraden der rinkslechten “Friedensfreunde” von einst und jetzt. Kaum einer von ihnen befand sich je in Notlagen; sie sind gerne Nutznießer von Demokratie und Rechtsstaat, solange es sie keine Anstrengung kostet.

Das Problem der Gottesstaaten ist – wie das der Bessermenschen hierzulande – dass sie das eigene Versagen nicht in Rechnung stellen. Sie wollen nicht an Konflikten wachsen, sie wollen das Eiapopeia untereinander und die harte Faust am Gegner. Es funktioniert nicht – bei den “Piraten” nicht, nicht bei anderen Lechtsrinken. Knechtseelen sind Konflikten sowenig gewachsen wie selbsternannte moralische Instanzen. Die Duckmäuserei politisch korrekter Sprache, die dazu passende Meinungs-Führerschaft ihrer Erfinder zielt nicht auf Frieden, sie will Friedhofsruhe.