Schlafen… träumen…

IMG_0317Wie kostbar diese jenseitigen Welten sind. Das Bewusstsein befasst sich dort nur noch eingeschränkt mit unmittelbaren Reizen; es wird vom Unbewussten, vom Erinnern, von Wünschen und Ängsten bewegt. Es muss ihnen folgen in gegenstandslose, phantastische, manchmal furchterregende Geschehnisse. Was im Alltag nicht zu merken ist – dass hinter Entscheidungen nur selten vernünftiges Abwägen steht – wird hier und jetzt universelles Programm. Alles ist möglich. Es muss nur einen Kondensationskeim geben, an den sich chaotisch schweifende Erinnerungen anlagern können, egal ob sie frühkindlichem Erleben oder einer Fernsehserie entspringen. Von diesem Keim aus vernetzen und verweben sich Landschaften, Figuren, Situationen innerhalb von Hundertstelsekunden. Sie sind flüchtig, aber sie können stärker wirken als real Erlebtes.

Hirnforscher wollen aufklären, was da “wirklich” geschieht. Sie wollen mittels hochpräziser Messung elektromagnetischer, hormoneller, zellbiologischer Abläufe die Traum und Gedankenwelten vermessen. Aber dieses “wirklich”  bedeutet doch immer nur, dass mit apparativ begrenzten Methoden Daten erfasst und Modelle konstruiert werden. Diese Modelle müssten in irgendeiner Form verifizierbar sein – etwa indem man aus mit ihrer Hilfe entworfenem elektromagnetischen Geschehen einen vorhersagbaren Traum entstehen ließe, also – wie im Film „Inception“ – bewegte Bilder ins Traumgeschehen einspielte, dem der Träumer nicht entfliehen kann.

So etwas ist Wunschvorstellung aller Despoten, Geheimdienste, vieler Produzenten mehr oder weniger schlechter Sci-Fi-Texte, Filme, Spiele. Vermutlich steckt schon viel Geld in einschlägigen Forschungen. Ihre Konsequenzen gehen – was ökonomische und politische Macht anlangt – über Kernkraft, Gentechnik, IT und Internet hinaus. Sie verschärfen alle Fragen nach menschlicher Verantwortung bis tief ins Persönliche. Aber stirbt infolge solcher “digitaler Transparenz” des Individuums nicht jedes Vertrauen, sogar das zu sich selbst?

Einstweilen freue ich mich an allen Abenteuern, zu denen ich ins Universum der Träume eingeladen – oder sollte ich besser sagen: entführt? – werde. Manchmal freue ich mich auch, von dort unversehrt zurückzukehren in eine Realität voller Überraschungen. Gott sei Dank wird sie sich nie ganz kontrollieren lassen, und das bedeutet: überhaupt nicht.

Blogparade: Facebook ist nicht das Internet

David Stingl und Oliver Gassner hatten die Idee, unter diesem Titel mittels einer Blog-Parade nach fb-Erfahrungen zu suchen; Oliver hat selbst dazu ein interessantes Statement veröffentlicht. Stichworte wie „Filterblase“ und „Darkroom“ für fb inspirierten mich dann, über meine eigenen Erfahrungen nachzudenken.

Schluss mit lustig?

Fenster zur Welt oder vertane Lebenszeit?

Vermutlich war es wie bei vielen anderen die Neugier, die mich zu den verschiedenen Portalen im „Social Web“ trieb; das Angebot, über unterschiedliche Kanäle (Seiten, Veranstaltungen, Posts, Nachrichten …) mein Publikum zu erreichen, schnelle Rückmeldungen zu bekommen, animierte.

Nach nicht allzu langer Zeit und mit wachsender Zahl von „Freunden“, „Freunden von Freunden“, … bemerkte ich, dass sich in diesem virtuellen Raum, anders als bei der Gestaltung meiner Homepage oder diverser Weblogs, so etwas wie eine Atmosphäre, also eine spezielle, emotionale Wahrnehmung einstellte – z.B. Überdruss an Banalitäten, mit denen fb-„Freunde“ mich nach dem Login empfingen. Mit Vergnügen registrierte ich intelligente Posts, Hinweise auf Interessantes jenseits der medialen Mainstreams – Kunst, Musik, Bücher – und witzige Kommentare. Etwas unbehaglich empfand ich (aber das ist wohl nur meiner Wahrnehmung geschuldet) den subtilen Druck, alles von „Freunden“ Veröffentlichte mit dem aufgereckten Daumen zu quittieren, vor allem, wenn sie ihrerseits meine Bilder & Geschichten aufmerksam verfolgt hatten. Ich schätze es eigentlich als wesentlichen Teil meiner Freiheit, nicht zu allem eine Meinung haben zu müssen.

Dann kamen die Trolle. Sie nahmen die Form von Gespenstern an, von widerwärtigen und furchterregenden Figuren aus der Vergangenheit. Ihre Auftritte waren mir zuwider, aber ich wusste, dass es mir nicht helfen würde, ihnen auszuweichen. Ich verstand – wenn mir auch solche Attacken eher lästig als bedrohlich erschienen, welche Folgen das vielbeschworene Cybermobbing haben kann; wie es totalitären Strebungen im Netz zuarbeitet. Solche Strebungen gehören zum Alltag des Internets wie Phishing und Kinderpornographie.

Die Erfahrung, bei fb kräftig angepöbelt zu werden, wurde Teil der Konflikte im Roman „Raketenschirm“; sie half mir bei den Recherchen und der Realisierung eines Radiofeatures für SWR 2 „Tandem“. Inzwischen nehme ich die Pöbeleien sportlich, die Gespenster der Vergangenheit haben ja nicht mehr die Übermacht. Sie streben nach politischer und kultureller Deutungshoheit, sie möchten mit eingängigen Feindbildern den Mob auf ihre Seite bringen, aber meist stolpern sie über die eigene Grobschlächtigkeit. Bei fb sind sie auffälliger als anderswo, aber das ist für mich ein Grund, genau dort einen „Sandkasten der Konfliktkultur“ zu sehen. Dass einer meistens mit verständigen Menschen kommunizieren und eine Menge Spaß haben kann, versteht sich – Trolle muss eine Demokratie aushalten.

„Darkroom“ oder „Filterblase“ – bei fb (und anderen Communities) findet sich, gewissermaßen „in der Nußschale“ was sich, vielsprachiger, extensiver, alle Bereiche umfassend, auch im „richtigen Internet“ abspielt: Leben.

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