Das Lateinische quantitas lässt sich mit „Größe“ oder „Menge“ übersetzen. Für sich genommen hat sie soviel Sinn wie die Antwort „42“ in Douglas Adams‘ „Per Anhalter durch die Galaxis“. „42“ ist dort letzte Antwort auf alle Fragen, sie bedarf nur einer Rechenzeit von 7,5 Millionen Jahren auf den besten Rechnern einer hoffentlich noch fernen Zukunft.
Spaß beiseite: Ihren Sinn bekommt die Quantität erst durch eine Bezugsgröße wie etwa „Anzahl“, sie erfasst dann einzelne, wohlunterschiedene Objekte. Sie kann ebensogut Massen, Volumina, Temperaturen, elektrische Ladungen, magnetische Feldstärken, Impulse oder Energien veranschaulichen. Zu diesem Zweck wurden Maßeinheiten erfunden; nach jahrhundertelangem „Wildwuchs“ einigte man sich bei vielen – etwa aufs metrische System. Im Gegensatz zur Quantität, die selbst keine Qualität hat, entwickelten sich die Maßeinheiten mit den Anforderungen, die Märkte, Technik, Wissenschaft an deren Qualität stellen: Sie mussten vergleichbares, verlässliches Berechnen erlauben1. Vielleicht hilft es, die Quantität von der Mathematik her anzuschauen, um sich ihr zu nähern.

Spätestens wenn Mengen von Wasser, Sand oder Flächen erfasst werden sollen, also Volumina, Gewichte oder Anteile wird klar, dass die „Natürlichen Zahlen“ nur Quantitäten diskreter Objekte erfassen, für alle teilbaren Größen bedarf es der Bruchrechnung – „gebrochener“ Zahlen. Seit der Antike erweiterten sich die mathematischen Methoden fortwährend, ihre Qualität nahm zu, ohne dass der Grundbaustein, das Zählen, eigentlich der Unterschied von nichts und etwas, sich jemals erübrigte. Die gesamte digitale Technik mit ihren aus Nullen und Einsen bestehenden Algorithmen lebt bis heute davon. Vielleicht bedeuten Quantencomputer einen Sprung in der Qualität – aber ich kenne mich damit nicht genügend aus, um eine Vorhersage zu wagen. In jedem Fall muss, wer Mathematik betreibt, Zeit und Energie aufwenden. Zugleich steckt Mathematik in allem, was uns im Universum begegnet; es zu entdecken und zu beschreiben, also die innewohnenden Informationen zu enträtseln, ist eine aufregende Beschäftigung. Gern verweise ich hier noch einmal auf die Arbeit von Bernd-Olaf Küppers.
Der Mensch erfindet Mathematik nicht – so meine ich – er lauscht sie dem Universum nur ab und fasst sie in Zeichensysteme unterschiedlicher Gestalt. Diese theoretischen Modelle beweisen dann, werden sie in Anwendungen auf Realitätstauglichkeit geprüft, ihre Qualitäten.
Eine „reine“ Quantität gibt es nicht, ebensowenig ist Qualität durch Quantität ersetzbar.
Qualitäten zu erfassen erfordert andererseits, die Wechselbeziehung sämtlicher Eigenheiten eines Systems – ob Elementarteilchen oder Zelle eines Organismus – mit inneren und äußeren Gegebenheiten („Randbedingungen“ nennt sie die Mathematik) im Auge zu haben.
Jahrhundertelang war das Studium der menschlichen Anatomie auf Leichen angewiesen; der Vergleich zu heutigen Untersuchungsmethoden zeigt enorme Fortschritte in der Medizin. Doch schafft jede Untersuchung besondere „Randbedingungen“. Sie sind beim Auswerten der Daten zu berücksichtigen. Zellen unterm Mikroskop verhalten sich immer noch anders als im lebenden Organismus. Forscher haben aus Laborstudien, aus der Beobachtung der Himmelskörper oder des Wetters gleichwohl immer bessere Modelle realer Vorgänge in der Natur, sogar für menschliche Verhaltensweisen entwickelt. Denken wir etwa an das Milgram-Experiment. Mindestens ebenso interessant sind auch dabei die „Randbedingungen“: Es wird immer noch diskutiert und um neue, genauere Beobachtungen bereichert.
Die „reine“ Qualität wäre also Eigenschaft des Universums, die sich unserer Beobachtung jedenfalls entzieht, weil wir außerstande sind, das Universum in Gänze zu quantifizieren, zu „berechnen“ und daraus ein – identisches – Modell zu entwickeln. Dagegen sprechen sowohl die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit wie die „Unbestimmtheitsrelation“ der Quantenphysik: Es ist unmöglich, alle Informationen gleichzeitig zu gewinnen und zu verarbeiten. Dasselbe gilt für die Gesamtheit der Informationen über einen einzelnen Menschen. Selbst wenn höchst entwickelte Sensoren nebst Datenspeicher 1:1 aufzeichnen können, was in jeder Körperzelle geschieht: Sie müssten auch die Milliarden Interaktionen mit Mikroorganismen innerhalb unserer Organe, auf der Oberfläche und in der Umgebung – die Randbedingungen – erfassen. Aber die wahrhaft astronomische Datenmenge wäre schon im Moment des Erfassens obsolet: Versunken hinterm von der Lichtgeschwindigkeit bedingten Ereignishorizont.
Dieser Artikel ergänzt die zuerst veröffentlichte Fassung im Globkult-Magazin
Weiter zum Schluss
1 Die lateinischen Zahlen erwiesen sich als untauglich fürs Rechnen
Pingback: Masken der Macht – Gesichter der Ohnmacht (V) – Eigensinn verpflichtet!
Pingback: Masken der Macht – Gesichter der Ohnmacht (Schluss) – Eigensinn verpflichtet!