Beschäftigt oder beteiligt? – Arbeitswelt 4.0

Wird überhaupt noch darüber gestritten, ob das Ziel eines Unternehmens maximaler Gewinn sei oder seine gedeihliche Existenz als Sozialgebilde?

In mancher Arbeitsumgebung wird darüber nicht einmal gesprochen – darauf deuten zumindest Studien wie der Gallup Engagement Index hin, die Andreas Zeuch am Anfang seines Buches „Alle Macht für niemand“ heranzieht.

zeuch_300dpi_cmykSie besagen, dass ca. 20 % der Mitarbeiter innerlich gekündigt haben bzw. „Dienst nach Vorschrift“ schieben. Während des vergangenen Jahrzehnts seien den Unternehmen dadurch jährlich im Mittel etwa 100 Milliarden € verloren gegangen, rechnet Zeuch vor. Quelle der Unlust und ihrer Folgeschäden – darüber sind fast alle Autoren in den drei hier vorgestellten Bücher mit ihm einig – ist meist der Mangel an Eigenverantwortlichkeit und Mitbestimmung der Beschäftigten. Der Sinn ihrer Tätigkeit hat wenig oder nichts mit eigenen Intentionen zu tun, er geht über den schieren Gelderwerb kaum hinaus, die Strukturen sind hierarchisch – oft wird so vor allem die Verantwortungslosigkeit organisiert. Was daraus wird, zeigt das Beispiel VW – es gibt zahllose andere.

Jedes der drei hier vorgestellten Bücher ist zu empfehlen, gerade weil sie aus sehr unterschiedlichen Positionen zur Sache kommen. Alle können aus denselben Quellen schöpfen, aber Absichten und Vorgehensweisen unterscheiden sich ebenso wie die Aufmachung: Das von Thomas Sattelberger, Isabell Welpe und Andreas Boes herausgegebene „Management-Buch des Jahres 2015“ aus dem Haufe-Verlag ist in Design, Grafik und Druck das aufwendigste.  81VtJOVIYxL„Das demokratische Unternehmen – Neue Arbeits- und Führungskulturen im Zeitalter digitaler Wirtschaft“ versammelt nicht weniger als 27 Autoren mit ausgewiesener akademischer bzw. Management-Erfahrung. Die Arbeitsministerin Nahles steht protokollgemäß voran. Ihr Statement klopft staatstragende Schultern, bleibt schwammig und oberflächlich. Es fragt hauptsächlich nach Rahmen für die digital und global entgrenzte Wirtschaft, also nach der Bestandsgarantie für Posten in Gewerkschaft und Politik.

Thomas Sattelberger, Ex-Manager in einigen globalen Konzernen, interessiert den Leser dagegen gleich mit einem strukturierenden Blick auf Megatrends. Er kondensiert Entwicklungen in Schaubildern, kommt sehr schnell auf die dunklen Seiten digitaler Wirtschaft und Technologien. „Letztlich geht es um die Frage, ob sie zu mehr Demokratisierung führen und bisherige Eliten entmachten oder ob Letztere sogar an Macht gewinnen und die Ökonomie in einer Art kapitalistischer Landnahme von den Menschen Besitz ergreift.“ Spätestens hier darf sich der Leser fragen, wie seine ganz persönliche Rolle in diesem Spektakel aussehen soll. Sattelberger bietet ihm nach einer mit einschlägigen Fachbegriffen gespickten Tour de Force immerhin die Aussicht auf eine – auch dank digitaler Technik – demokratisierte „Arbeitswelt 4.0“ und meldet entsprechenden gesellschaftlichen Bildungsbedarf an.

Auch das Autorenkollektiv um Andreas Boes – es schöpft aus einer großen Zahl einschlägiger Publikationen – sieht die Entwicklung an einer Scheidelinie „Zwischen digitalem Fließband und Empowerment der Beschäftigten“. Es fordert dazu auf, an dieser Linie zu messen, wie Unternehmen geführt werden, insbesondere mit Blick auf neue Techniken und Organisationsformen, etwa flexible Arbeitszeiten. Das folgende Kapitel „Der Blick der Managementforschung“, konstatiert, dass Transformationsprozesse im Gang sind. Isabell M. Welpe und zwei ihrer Kollegen von der TU München haben es verfasst. Sie sehen Transparenz und Partizipation auf dem Vormarsch; sehr kompakt beschreiben sie Wege, Begleitfaktoren, Probleme, die damit einhergehen, wenn Unternehmen demokratische Organisationsformen einführen.

Während ansonsten der Geruhsamkeit deutschen Korporationsdenkens wenig mehr entquillt, als Heere von sprachlichen -ung-Geheuern, geharnischt mit unpersönlichen “Es muss…”-Konstruktionen, während sich jedem Handlungsimpuls also Worthülsen entgegenwerfen und nahelegen: Demokratisieren in Unternehmen ist für die Beschäftigten zu schwer, man muss es dem Management überlassen, setzt sich Shoshana Zuboff von der Harvard Business School konkret mit dem “Modell Uber” auseinander, mit Individualisierung versus “Massen-Bewirtschaftung” und bescheinigt Europa eine Chance, mit “digital disruption” besser zurande zu kommen als amerikanische Wettbewerber – wenn es deren einseitige Profitorientierung vermeidet. Armin Steuernagel bestätigt sie darin mit einem Streiflicht über Geschichte und Rechtsformen von Arbeit und Eigentum.

Das Interessanteste am Buch aber sind zweifellos die Praxis-Beispiele: Berichte aus Unternehmen, die unterschiedliche Wege zur Demokratisierung bereits gehen. Eines davon ist Haufe-Umantis. Es scheint, dass sich der Haufe-Verlag hier eigener Reformprozesse erinnert: Anfang der 2000er Jahre hatte sie der damalige Geschäftsführer Uwe Renald Müller („Machtwechsel im Management“, Haufe 1997, Global Business Book Awards Winner 1997) angestoßen.

Auch Andreas Zeuch führt Haufe-Umantis als Beispiel beachtenswerter neuer Formen in der demokratischen Unternehmensführung an, aber er nutzt andere Erzählformen. Nicht die Insider reflektieren bei ihm eigene Transformationen, Zeuch lässt seinen theoretischen Überlegungen aus dem ersten Teil des Buches – “Provokation” – im zweiten, “Inspiration”, Reportagen und Interviews mit Verantwortlichen folgen. Wer ihn kennt, schätzt seine Eloquenz, er ist ein anregender Gesprächspartner und Autor (“Feel it! – So viel Intuition verträgt Ihr Unternehmen”), und ich persönlich mag seine von Wissen und Erfahrungen befestigte, gleichwohl deutlich subjektive Sicht. Er engagiert sich seit Jahren in “Change”-Prozessen: als Ideengeber, Teilnehmer, Berater und Beobachter, ihn interessiert auch das Scheitern solcher Prozesse – dafür gibt es ein lehrhaftes Exempel – und er hat immer gesellschaftliche Entwicklungen im Auge: Wie kann die Arbeitswelt zur Werkstatt und zum Handlungsort für demokratisches Verhalten werden? Sinnkopplung am Arbeitsplatz könnte den Einzelnen ermutigen, ertüchtigen und erfahren lassen, wie individuelle Möglichkeiten und Gemeinwohl aneinander, miteinander wachsen können.

Teil 3 des Buches – “Aktion” befasst sich mit Haltungen zum Wandel und Instrumenten dafür. Zeuch stellt klar, dass Demokratisierung nur “top down” UND “bottom up” funktionieren kann, dass Bereitschaft zum Rollenwechsel und Konfliktfähigkeit unverzichtbar sind – also geeignete Formen der Kommunikation, letztlich eine Kultur, die Fehler, Missverständnisse, Krisen als Lernprozesse versteht. Dass eine solche Kultur völlig neue Beziehungen innerhalb der Arbeitswelt ermöglicht, individuelle Freiräume schafft und dennoch jederzeit effizienter ist als angst- und kontrollgesteuerte Strukturen und Taktgeber, erörtert auch das dritte Buch:

presse-983Im  bescheidenen Gewand einer Broschüre mit nicht mehr als ein paar Strichmännchen zur grafischen Beigabe und unter Verzicht auf Insider-Terminologie, auf Schlagworte wie “Redundanz”, “Resilienz”, “Prokrastinieren” und anderes, kommen Stefan Fouriers Vorschläge daher, wie sich arbeitende Menschen – egal ob Männer oder Frauen, egal ob an der Basis oder “an der Spitze” – eigener Konflikte, Ängste, Belastungen inne werden und sie meistern können. Mich irritierte zunächst der Titel, denn “schlau” changiert zwischen “intelligent”, “klug”, “listig” und “abgefeimt”. Fouriers Überlegungen – sie gehen darin über „Ratgeberliteratur” hinaus – zielen eher aufs Gescheit werden. Sie sind vor allem ausgegoren: Auf sympathische Weise gesteht der Autor von Anfang an, wie er selbst in die “Perfektionismusfalle” getappt ist, ehe er gescheit wurde; wenn er über wachsenden Leistungsdruck und Komplexität spricht, tut er es aus Erfahrung heraus und gut verständlich. Mir fiel Erich Kästners Wort über Frau Lehmann ein, die so viel liebenswerter und unbeschwerter durchs Leben ginge, versuchte sie nur, statt perfekt die perfekte Frau Lehmann zu sein. So komplex die Welt ist, so komplex ist Jede und Jeder – Vereinfachungen führen nicht weiter, verbünden wir uns lieber mit Komplexität.

Allerdings sind Menschen seit je auf vereinfachende Weltbilder fixiert – seien sie von Priestern im Namen Gottes verkündigt, von Konzernchefs, Despoten oder Medien. Wollen Menschen überleben, wollen sie etwas gelten, müssen sich ihre Selbstbilder möglichst perfekt solchen vom sozialen Umfeld akzeptierten Modellen der Wirklichkeit anverwandeln – mit allen Rollenzuweisungen und Ritualen etwa in einer Konzernhierarchie, sei es bewusst oder unbewusst. Dass jeder von uns die Realität fortwährend miterschafft, dass er bei der Wahl seiner Rolle Freiheiten hat, dass er sie sogar erweitern und wechseln kann, indem er die Kräfte seines sozialen Umfelds zu erkennen, zu mobilisieren, zu nutzen, versteht – das ist eine demokratische Grundidee. Aus ihr resultieren Kommunikation, Lernprozesse, Kooperation – sie stehen in dynamischer Wechselbeziehung zu Konkurrenz, zu Missverständnissen, auch zum Scheitern. Stefan Fourier macht viele interessante Vorschläge zu wachem, offenem Umgang, zu besserer Selbstwahrnehmung, für mehr Freude und Erfolg in der Arbeit bei gleichzeitig schonendem Einsatz eigener Ressourcen. Ohne das Wort “Sinnkopplung” zu benutzen, sieht er in Sinn, Vertrauen, Offenheit, Verantwortung “soziosystemische Erfolgsfaktoren”.

Wenn er dazu empfiehlt, “persönliche Qualitäten für Chaosfitness” zu entwickeln – “Wach, mutig, schnell, diszipliniert, unerschütterlich”, sieht das für mich allerdings nach Actionkino aus. Das Rollenangebot und die persönlichen Stärken von Individuen sind viel reicher und überraschender. Mit von Platon abgeleiteten “Archetypen” – Führer, Macher, Mitmacher und Opponent – versucht Fourier Interaktionen in sozialen Systemen zu erklären, übersieht dabei aber z.B. die Ambivalenz der “Mitmacher”. Er sieht den “Macher”, der zum Kriegstreiber wird, aber nicht den “Mitmacher” im Lynchmob.

Dass ich Fouriers Buch mit Vergnügen gelesen habe, lag aber an solchen Gelegenheiten zum Einspruch weniger als an den vielen Anregungen, an der verständigen und verständlichen Sprache, mit der er sich in den Diskurs um die Arbeitswelt von morgen einbringt. Es will eben nicht perfekt sein. Vielleicht ist es schlau. Gescheit ist es allemal.

Stefan Fourier “Schlau statt perfekt” Verlag Business Village 2015, 204 Seiten, 19,80 €

Andreas Zeuch „Alle Macht für niemand“, Murmann Verlag 2015, 264 Seiten,     25 € 

Sattelberger/Welpe/Boes (Hrsg.) “Das demokratische Unternehmen” Haufe Verlag, 310 Seiten,

Erfolgsgeheimnisse

Slide C40675, in Binder L-077D

Insects, Rodents, and Other Animals as Disease Carriers and Pests
Migrant Labor Series

Oriental Roach

1972Worauf gründet der Geschäftserfolg von “Dschungelcamp”, die Anziehungskraft des subkutanen Sadismus von Herrn Bohlen und Frau Klum, die Quotensicherheit jeder Sorte Antastung dessen, was laut Grundgesetz unantastbar sein soll?

Hilft das Starren aufs simuliert Scheußliche dabei, das ganz reale Elend nicht wahrnehmen zu müssen?

Tritt jemand einmal einen Schritt zurück und fragt, was es eigentlich ist, das Menschen treibt zu derlei Übergriffen und Ersatzhandlungen?

Solche Fragen führen zu beunruhigenden Gedanken. Sie werden besser gar nicht erst gestellt. Nicht von Anstalten mit grundgesetzlichem Auftrag, geschweige von den als Quoten- und Geldmaschinen funktionierenden Medien der Privatwirtschaft. Nehmen wir also den armen Angestellten dieser Sender solche den eigenen Broterwerb gefährdenden Fragen ab.

Dann wird allerdings der mündige Bürger und Medienkonsument die Antworten selber finden müssen. Sie werden ihm etwas mehr Intelligenz und Mut abverlangen, als der Verzicht auf den Verzehr toter Tiere und das Hochhalten von Transparenten gegen globale Bösewichte, die ihm persönlich deswegen nicht auf den Leib rücken können. Stattdessen wird er sich in echte Konflikte verstricken, sich entscheiden müssen, die Beziehungen zu den Menschen seiner Umgebung wichtiger zu nehmen als Geldanlagen und Risikovorsorge. Es genügt dann nicht, gerade angesagte Regeln politischer Korrektheit einzuhalten.

Erfreulicherweise gibt es Menschen, die derart heikle Fragestellungen zum Ausgangspunkt einer neuen Form des Wirtschaftens machen wollen: einer sinnvollen Wirtschaft, weg von den Sachen, hin zum Menschen. Sie würde uns allen sehr viel Geld (Steuern, Sozialabgaben, Bürokratiekosten) sparen, weil eine solche, eigentlich nur dem Grundgesetz folgende Wirtschaft eine Menge Staat erübrigte. Das ist nicht alles: Arbeit könnte Spaß machen.

Aber wer will das schon: Dann geriete einer in den Ruf, sein Geld nicht sauer verdient zu haben. Und das ist schiere Ketzerei in einer Kultur, in der das Jammern der Angestellten über Qualen des Arbeitenmüssens  – durchdringender noch: über die unerträgliche Bedrohung, seine Anstellung zu verlieren – im Wechsel mit Jubelchören über Urlaub und Brückentage das alles durchdringenden Sozialritual geworden ist.

Machen wir uns nichts vor: das Gros der Angestellten wäre ganz gerne arbeitslos – bei voller Bezahlung (Statistiken reden von 20 % die sowieso schon “innerlich gekündigt” haben). Eigentlich produziert die derzeit herrschende Art der Arbeitsorganisation eine ziemliche Menge „arbeits- (besser: konfliktscheue) Elemente“ – von denen die meisten eine viel besser bezahlte Anstellung suchen. Wegen des Wachstums. Ob das noch lange gut geht?

Freiheit der anderen oder Lizenz zum Pöbeln?

Grundgesetz_1949Mal abgesehen davon, dass nichts verwunderlicher gewesen wäre als ein verständiges "Jetzt schau’n wir mal, was er macht": die Nation der BILD-konditionierten Alle-Welt-Basher probt im Internet den nächsten Präsidentensturz, ehe der Kandidat auch nur gewählt ist. Wie bei solchen Gelegenheiten üblich: kein Vorwurf ist zu abstrus, als dass er nicht zum Wurfgeschoss taugte, Hauptsache mitmobben heißt die Devise. Freilich: Gauck wäre nicht Gauck, hätte er nicht gelernt, damit umzugehen. Hätten so etwas wie 90 % Zustimmung gedroht, wäre ihm nicht eingefallen zu kandidieren – dagegen ist er lebenslang immunisiert.

Nun blasen also die Wichtigtuer mit den großen Mäulern und der gegenüber Vorgesetzten jederzeit gut verborgenen widerständigen Meinung zum Halali gegen Gauck: im Internet. Das ist unvermeidlich, denn dabei kann sich einer wichtig, mutig, als politischer Vorkämpfer fühlen, ohne die Karriere oder die Mitgliedschaft im Verein zu riskieren. Wo sonst kann er das? Vor allem – wie sollte er dieser Versuchung widerstehen? Die Jagd auf Sündenböcke und das genüssliche Kolorieren von Feindbildern sind einmal (evolutionsbiologisch bedingt) bevorzugte Lustquellen, sie treiben seit alters her Klatsch und Tratsch, das allgegenwärtige soziale Hintergrundrauschen. Es ist ein zweckmäßiges Ritual wie das Blöken der Schafherde oder das Gegacker auf dem Hühnerhof, das Internet ist nur ein anderer Ort dafür – und so lange sich dort die Energien erschöpften, sollte’s mir eigentlich recht sein. Leider wird die fortgesetzte Übung in Schmähkritik und übler Nachrede in jedes andere Soziotop mitgeschleppt. Na gut, Stammtische kann einer heutzutage leicht meiden. Auch der Aufenthalt in mancher Betriebskantine oder Kaffeküche lässt sich umgehen, sobald dort selbsternannte Enthüller, Juristen, Politiker überhand nehmen.

Dass einer aber überall auf selbsternannte MeinungsBILDner mit der Lizenz zum Anpöbeln trifft, nicht nur im Internet, ist eine gespenstische Aussicht. Da seien Gauck und alle diejenigen vor, die im Kampf um Demokratie und Freiheit wirklich etwas riskiert haben – mein Vertrauen und meine Stimme haben sie.

Es ist erreicht

Spaßeshalber habe ich heute per google mal nach „Ich brauche mich um nichts mehr zu kümmern“ gesucht. Dann habe ich gestaunt.
Es fanden sich unter der Adresse eines österreichischen Esotherikforums die Verse
hallo
ich bin Hansi und mir gehts saugut
denn ich bin an das Ende meiner Suche angelangt:

hier unter diesem Baum
ich bin voll erfüllt
Sehnsucht?
was ist das?
ich habe alles was ich brauche
ich habe auch keine Fragen mehr
ich bin mir selbst genug

manchmal schneide ich mir die Fuss und die Fingernägel
und morgens ein bisschen Hatha Yoga
dann grinse ich besonders
bei der Postur der Anbetung der Sonne
ein glückliches Grinsen

kein verbissenes
ich bin euer Hansi
und habe es geschafft!

Hansi braucht keine Industriegesellschaft. Die Gegenposition dazu erscheint in einem – inzwischen aus dem Web verschwundenen deutschen Politikforum:
Ich werde Schmarotzer!
In Bezug auf unsere beiden Dauerbrenner-Threads habe ich mir überlegt, jetzt Schmarotzer zu werden:

Meine Vorteile:

Ich arbeite nicht mehr. Ok, das ist dann eh klar. Habe keine 24-Stunden-Schicht, keine Steuerlast, Miete wird bezahlt, Kleidung wird bezahlt, Reparaturen werden bezahlt, mir steht sogar ein Schuhschrank auf Staatskosten zu (hatte ich bisher nicht/freue mich), keine Zuzahlung im Krankenhaus, keine Steuererklärung, jederzeit rundum versichert, versorgt, verwaltet. Brauche mich über Parasiten endlich nicht mehr aufzuregen, bin jetzt selber einer. Geil!

Ich brauche mich um nichts mehr zu kümmern. Ich liege im Sonnenstudio.

Nur die Hand aufhalten in einem bequemen Sessel im Flur auf dem Amt, aber da kann ich mir ja mit einer guten Flasche Wein und ein wenig Lachs die Wartezeit versüßen.

Was für ein wunderbarer Staat.

Schmarotzerförderer, Schmarotzerunterstützer, Schmarotzerschützer.“

Wer will, darf gespannt sein, wie der Konflikt ausgeht. Ich bin jedenfalls fest entschlossen, mich nicht darum zu kümmern.
..

Glücklich die Stadt, die keine Helden braucht

Leipzig, Nikolaistraße, Blick zur Kirche

Was im Herbst 1989 zu machtverändernden Demonstrationen wuchs, hatte Anfang der 80er Jahre als „unabhängige Friedensbewegung“ in der DDR begonnen. Während die SED ihr Propagandafeuer gehorsam auf die Ziele von Breshnews „militärisch-industriellem Komplex“ (Michail Gorbatschow) im Westen eingeschossen hatte, während etliche „Friedensbewegte“ im Westen, unterstützt von DKP und Stasi gegen Pershings demonstrierten und die SS 20 ausblendeten, wagten es einige Mutige im Osten zu fragen, worin denn der Unterschied zwischen einer nuklear bestückten Pershing und einer SS 20 liege.
Sie waren kriminelle Staatsfeinde. Petra Kelly, die Kontakt zu ihnen hielt, wurde von Erich Mielke persönlich zur CIA-Agentin erklärt. Wer dagegen antiamerikanischen Reflexen folgte, bereit war, den Herren der Politbüros ihre Friedensliebe abzukaufen, von dem bedrohlichen Rüstungsvorlauf des Warschauer Pakts abzusehen, durfte sich am Applaus meinungsstabiler Massenblätter wie „Neues Deutschland“ und „Junge Welt“ erfreuen – als Friedensengel. Es gab einen guten Frieden und einen schlechten, und beim guten Frieden machten alle, was das Politbüro sagte.

Ausgelatscht: die Anti-Atomschuhe

Ausgelatscht: die Anti-Atomschuhe

Mit dem Wegfall der Politbüros kam eine gewisse Verwirrung auf: Mancher schämte sich zeitweilig, einst dem ND und der „Jungen Welt“ den Gehherda gemacht zu haben. Aber peu à peu verfestigen sich die Feindbilder wieder. „Atomkraft“ ist die Schreckensvision, hinter der sich das Böse schlechthin verbirgt. Nicht einmal der FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher macht noch einen Unterschied zwischen Atombomben und Kernkraftwerken. Niemand darf fragen, ob womöglich die Menschen das Problem sind, nicht die Technik, ob also Strukturen wie die der Firma TEPCO die Gefahr ausmachen, vor der sich alle fürchten sollten.
Es sind Strukturen von Befehl und Gehorsam, von Plan- und Kommandowirtschaft. Sie sind intransparent, sie organisieren die Verantwortungslosigkeit, sie verlagern die Schäden infolge korporativer Hab- und Machtgier aufs Gemeinwesen.
Die Schuhe der „Anti-Atomkraft-Bewegung“ sind ausgelatscht, ihre Argumente zielen allesamt nur gegen eine Technik, statt auf einen Wandel, der Verantwortung für die Energieversorgung dahin verlagert, wo sie hingehört: an das Zusammenspiel von Menschen, die Energie nutzen und Menschen, die sie herstellen. Frieden ist nicht durch Dominanz überlegener Raketen zu erzwingen, Demokratie ebensowenig. Die Qualität menschlichen Zusammenlebens ist überhaupt keine Frage der Technik, sondern eine der Konfliktkultur.

Kamikaze

Mir gehen die Männer nicht aus dem Kopf, deren Leben wahrscheinlich kurz sein wird, weil sie zu lange um einen versagenden Atomreaktor in Japan kämpfen. Einige besonders originelle Kommentarschreiber in deutschen Blogs und bei facebook gefallen sich darin, sie als „Kernkraft-Kamikaze“ zu verspotten, begleitet von Seitenhieben auf Japaner (oder auch Chinesen, große Unterschiede sehen sie da nicht), die ja schon immer autoritäts- und technikgläubig gewesen seien.

Solche Kommentare werden geschrieben an Computern mit reichlich fernöstlicher Technik in einem reichen Land. Es wurde reich durch seine Industrie samt Energiewirtschaft – also auch seine Kernkraftwerke. Die Helden von Fukushima haben keine Reichtümer erlangt durch diese in Deutschland derzeit als Grundübel aller Dinge angesehenen Form der Energieproduktion, sie sind vermutlich keine blinden Kernkraftfanatiker, sie versuchen einfach, Unheil von ihren Mitmenschen abzuwenden. Dafür bin ich ihnen unendlich dankbar; ich fühle mich zugleich beschämt, weil ich einer Nation angehöre, der offensichtlich in diesen Tagen nichts wichtiger ist, als die Abschaltung eigener Kernkraftwerke. Von diesen „Schrottmeilern“ geht auf absehbare Zeit und nach allem vernünftigen Abwägen keine andere Gefahr aus, als die in Szenarien von Terrorismus, seit Jahrtausenden nicht eingetretenen Naturkatastrophen und haarsträubenden Verschwörungstheorien herbeiphantasierte.

Ich weiß nicht, wer im unwahrscheinlichen Fall eines AKW-Unfalls bei uns so handelte wie die japanischen Ingenieure, Techniker, Soldaten, Feuerwehrleute, ich darf hoffen, dass sich einige fänden, darunter manche mit Namen, die auf einen „Migrationshintergrund“ deuten. Sie wären halt die Dummen, die Selbstmörder. Kamikaze. Ganz sicher bin ich indessen, dass eine unübersehbare Menge von Fachjournalisten, Experten, Politikern, Sprechern aller möglichen und unmöglichen Organisationen sogleich mit dem Finger auf die Schuldigen zeigten. Deutschland ist Weltspitze bei der medialen Jagd auf Sündenböcke. Deutsche Medien haben es überhaupt zu einer großen Virtuosität darin gebracht, Wellen der Aufregung völlig synchron zwischen BILD, „Qualitätspresse“, privaten und öffentlich-rechtlichen Kanälen aufzuschaukeln. „Erregungs-Tsunamis“.

Seinen wirtschaftlichen Aufstieg seit sechs Jahrzehnten, die großzügigen sozialen und kulturellen Standards (fast kostenfreie staatliche Bildung und öffentliche Bibliotheken; Fernsehen, PC, Internetanschluss gehören zur „Grundversorgung“) verdankt das Land allerdings nicht seinen großen Gefühlswallungen. Versuche, den nationalen Aufschwung an kollektive Gefühle zu koppeln (Stolz ein Deutscher zu sein, Hass auf Erbfeinde, auf die jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung, den Klassenfeind …) wurden vom Rest der Welt durchaus als Tsunami wahrgenommen, hinterließen allerdings Schäden, gegen die sich Tschernobyl und Fukushima wie kleinere Betriebsunfälle der Weltgeschichte ausnehmen, zählt man nur die Opfer.

Die Welt muss sicher keinen deutschen „Gefühls -Tsunami“ mehr fürchten, sie lacht über deutsche Weltenretter. Medial Erregte, mit medialer Aufmerksamkeit belohnte, brüllen „Castor schottern“, „AKW abschalten!“, „Wir wollen saubere Energie!“, sie schauen aber gern darüber hinweg, dass chinesischen Chemiebuden ihre Solarpanels fertigen – sind ja keine deutschen Flüsse, in die das Gift strömt. Die Chinesen lachen nicht. Nicht alle. Es gibt immer noch welche, die auf deutsche Kernforschung schwören. Sie fragen, wer eigentlich da drüben so verrückt ist, die Lebensleistung von Erfindern weniger wichtig zu nehmen als die heiße Luft aus Politbüros und Redaktionsstuben.

Ja, es ist gut, die Verantwortung für Energie, Rohstoffe und deren Verbrauch möglichst in die Hand der Nutzer allein zu legen – also dezentral zu wirtschaften. Jeder Einzelne, jedes Haus, jede Kommune sollte „cradle-to-cradle“ zum Prinzip machen, sich um möglichst müllfreie Kreisläufe von Stoffen und Energieumwandlung kümmern, selbständig, mit möglichst wenig „Druck von oben“. Es gibt inzwischen weltweit Unternehmen, sogar ziemlich große, die auf dieses Prinzip hinarbeiten. Aber auch sie können nicht „per Volksentscheid“ und anschließenden Knopfdruck auf „alternative Energien“ umschalten.

Die meisten Mitschwimmer der „Anti-Atom“- und anderer angesagter Heißluftströmungen wollen und können nicht erklären, woher die Energie für große Fabriken kommen soll. Der Wohlstand der Industrienationen, die Entwicklung der Schwellenländer gründet aber – noch – auf großen Anlagen zur Energieerzeugung. Stahl-, Zement-, Chemiewerke, Autofabriken und Verkehrssysteme sind nicht mal eben so mit Windmühlen zu betreiben. (Nach wie vor ist übrigens völlig ungeklärt, wie sich gigantische Windparks quer über den Kontinent auf die komplexen Strömungsverhältnisse der Atmosphäre auswirken, welche Klimafolgen ihre ungebremste Vermehrung haben wird.) Also: der Strom fürs Häusle, die kommunale Energieversorgung ist das eine, die großen Netzwerke das andere. Mit Hauruck geht das zwar in der Phantasie, aber machen müssen es Leute, die von Naturwissenschaft und Technik etwas verstehen: Ingenieure. Auf die sollten wir ruhig ab und zu mal hören, wir verdanken ihnen nämlich unser prima Leben, von dem wir nur sehr ungern lassen wollen.

Wenn Deutschland sich nicht endgültig zur Lachnummer machen will, werden wir zeigen müssen, wie es in der Praxis geht – das betrifft jeden Einzelnen und seinen Umgang mit Ressourcen. Wer heute den Mund voll nimmt beim Reden über Risiken der Technik, übers Krisenmanagement von Atomkraftwerken, sollte sein ganz persönliches Krisenmanagement nicht aus den Augen verlieren: Wie hältst du es denn mit deiner persönlichen Verantwortung für Risiken? Wie viele Reste von Antibiotika, Hormonpräparaten etc. entsorgst du in die Kanalisation? Was wird aus den giftigen Schwermetallen in deinen weggeworfenen Akkus, Altgeräten, Energiesparlampen? Peanuts?

In Deutschland sterben jedes Jahr 12000 Menschen an Infektionen mit Krankenhauskeimen. Schließen wir die Krankenhäuser? Fragen wir, wer schuld ist? Klar: multiresistente Bakterien, die nicht mehr mit Antibiotika „auszuschalten“ sind. Woher kommen sie? Vom sorglosen Umgang unzähliger Menschen mit Antibiotika. Resistenzen bilden sich, weil „irgendwie“ so massenhaft wie unkontrollierbar Medikamente in die Umwelt entsorgt werden. Angst vor „Strahlung“ haben die Leute, Angst vor der eigenen Schlamperei nicht. Es gibt Witzbolde in der Pharmaforschung, die vom „Antibiotika-GAU“ sprechen. Schalten wir die Pharmaindustrie ab?

Nicht die Technik ist das Problem, der Mensch ist es: er handelt, und er setzt in unserer Gesellschaft alles daran, es nicht auf eigenes Risiko zu tun. Der Ingenieur, dem auffiel, dass die Stromversorgung des Kernkraftwerks wegen inkompatibler Leitungen (Stecker, Kabel, …) im Notfall nicht von externen Aggregaten würde übernommen werden können, schwieg vielleicht, weil er keinen Konflikt mit Vorgesetzten riskieren wollte. Dann fiel der Strom aus. Ich kenne sehr, sehr wenige Leute, die anders handeln, ich rede nicht von Japan. Wenn von Krisen, wenn von Risiken der Technik die Rede ist, dann muss vom Menschen als Risiko gesprochen werden. Eine Lösung: man macht Technik „idiotensicher“ – so erschafft man eine Welt für Idioten.

Die andere Möglichkeit: alle lernen, mit den Risiken und Krisen umzugehen, die durch ihr Handeln in die Welt kommen. Dann dürften sie sich nicht mehr allein auf Gefühle verlassen, auf das wohlige Dazugehören zur Herde und das Gedudel der Medien. Sie dürften sich nicht mehr gegenseitig augenzwinkernd versichern, dass sie ja schon in der Schule keinen Spaß an Mathematik und Physik hatten, dürften sich nicht auf Experten, Journalisten, Politiker verlassen, sondern müssten Interesse entwickeln, auch wenn gerade kein Reaktor in Japan vorm GAU steht. Medien könnten Kompetenzen vermitteln, (daher stammt eigentlich ihre Bezeichnung), statt bloße Gefühlsverstärker beim Fußball, Volksmusikstadel, Seifenopern, Klatsch und Tratsch zu sein, oder wenn’s irgendwo kracht und der Hühnerhof durcheinander flattert. Nachhaltigkeit beginnt, wenn wir unsere eigenen Gewohnheiten befragen, ihre Risiken, ihren Sinn für uns und andere.

Aber das will der Kampagnenjournalismus nicht. Er lässt sich von der Quotenmaschine treiben, die an Aufmerksamkeitswellen starker Gefühle gekoppelt ist. Mathematik? Physik? Ingenieurskunst? Wie langweilig im Vergleich zu „Knochendoktoren“! In Deutschland werden alternative Energiequellen erschlossen, die weder subventioniert noch radioaktiv sind. Aber die Erfinder haben keine Lobby bei Medien, Konzernen und Politikern. Bezeichnendes Beispiel: das Aufwindkraftwerk. Sein Erfinder Jörg Schlaich hatte schon vor fast vierzig Jahren die Idee, in Wüstengebieten ausgedehnte Glasflächen zu bauen, in deren Mitte ein 1000 Meter hoher Turm steht. Die Sonne heizt die Luft in den großflächigen Treibhäusern auf, durch den Turm, eine Art Riesenschlot in deren Mitte, strömen die heißen Luftmassen hinauf in die kalte obere Atmosphäre. Eine Turbine im Schlot nutzt den Aufwind für die Stromerzeugung: Ein einfaches Prinzip, an Ort und Stelle verfügbares Material, von Einheimischen erbaute und betriebene Technik, leicht zu warten und zu ersetzen. Überschüssige Energie wäre mit Gewinn zu verkaufen von den ärmeren Nationen an die reichen: Energiepolitik als Entwicklungspolitik.

Es ist eine Vision von großer Überzeugungskraft, längst mehr als Vision eigentlich, denn ein Versuch mit einem 200 Meter hohen Turm hat in Spanien Mitte der 80er Jahre bewiesen, dass die Stromerzeugung mit dem Aufwindkraftwerk funktioniert. Seither sind Milliarden in viel weniger effiziente Technologien investiert, ist der Armut in den Wüstenregionen nicht abgeholfen worden, wachsen stattdessen Konflikte, die mit Not und Hunger einhergehen, die Kriege begünstigen. Es wäre nicht die erste deutsche Erfindung, die anderswo – vielleicht in China – Erfolgsgeschichte schreibt.

Kamikaze auf Deutsch: Selbstmord im Sicherheitwahn.

Leben ist gratis – im Wesentlichen

Krohusblüte

Die verlässlichen Wunder eines jeden Jahres – gratis

„Gratiskultur“ ist beinahe ein Schimpfwort. Es zielt wohl auf eine Haltung, die sich mit dem Slogan „Ich – alles – sofort – gratis!“ verkürzen ließe und ungehemmtem, egoistischem Anspruch eignet. Freilich soll dieses Schimpfwort inzwischen die freie Verfügbarkeit von Inhalten im Internet allgemein disqualifizieren.
Das macht mich hellhörig. In diesem pejorativen Gebrauch äußert sich die Wut von Geldmaschinenbetreibern, denen es partout nicht gelingen will, auch noch die Atemluft – wie schließlich jegliches Lebensbedürfnis und jede Lebensäußerung – zu verwerten.
Ich gestehe ganz offen: ich bin ein Kind der Gratiskultur und werde alles tun, zu ihrer Ausbreitung beizutragen. Den absolut größten, den wesentlichen Teil meines Lebens verdanke ich nämlich nicht der Warenwirtschaft, sondern dem unmittelbaren Umgang mit Menschen, den Gaben Gottes in Form der uns umgebenden Natur und meiner Bereitschaft, nach bestem Vermögen – und dabei handelte es sich eben nicht um Geld – mit beiden in Austausch zu treten. Was ich an Liebe empfing, war ebenso gratis wie die Einführungen in Literatur, Musik, Umgangsformen, die ich durch meine Großmutter erfuhr. Die Gegenleistungen, die mir abverlangt wurden, waren Neugier, Lernbereitschaft, eine Lebendigkeit und ein Wachstum, an denen sich andere freuten. Es war und ist bis heute wechelseitiges Nutznießen der Ganzheit von Menschen und Welt, in die alle Arbeit vorangegangener Generationen eingeflossen ist: so kostenlos wie unbezahlbar. Nur ein kleiner Teil der Güter ist handelbar; einige davon sind unentbehrlich: Essen, Trinken, Kleidung, ein Dach überm Kopf, Energie zum Heizen. Je älter ich werde, desto geringer wird mein Bedarf an Habseligkeiten, aber auch meine Bereitschaft, im Markt der Medien mitzuwirtschaften, dessen Waren mich nicht interessieren.
Markt und Geld sind sehr spezielle Werkzeuge, mit denen der Mensch seine Reichweite bis tief in die Prozesse von Natur und Kultur erweitern konnte. Wir stehen heute vor der Frage, ob wir zu den Werkzeugen der Werkzeuge werden. Werde ich wirklich nur von einer Arbeit leben können, die vermarktbar ist?
Einen großen Teil meiner Texte stelle ich gratis in Netz – „Der menschliche Kosmos“ ist bei googles Buchsuche in wesentlichen Teilen lesbar. Und darin fühle ich mich mit vielen anderen Urhebern verbunden, die Dasselbe tun: gratis, zum Nutzen der Allgemeinheit, laden Fotografen Bilder hoch, werden Konzerte auf YouTube hörbar. Das macht Hoffnung und schafft Vertrauen.
Einen Beitrag zur Kultur jenseits des Kommerzes leistet auch das Webportal „Human Pictures“. Wer Filme, Videos, Clips mit sozial engagierten Inhalten dort hochlädt, tut es gratis und erhält ebenso gratis eine redaktionelle Bewertung. Es soll mehr daraus werden: ein Netzwerk engagierter Filmemacher und eine weltweite Unterstützung für Bildungsprojekte. Gratis, aber nicht umsonst.

Dottore Silviagro und die Moral der Pappnasen

doktorhut

Doktorhut und Pappnase als moderne Attibute politscher Entertainer

Gewaltiges Geräusch in den Medien wegen des Plagiatsvorwurfs gegen den Minister zu Guttenberg – seine Anhänger nennen’s eine Kampagne. Aber es gibt hierzulande klare Regeln für wissenschaftliche Arbeit, und Gleichheit vor dem Gesetz ist ein Verfassungsgrundsatz. Wenn die Anschuldigungen gegen den Minister Guttenberg zutreffen, wird das die nämlichen Konsequenzen haben müssen, wie in jedem anderen Fall wissenschaftlicher Unehrlichkeit: die Aberkennung seiner Promotion.

Interessant bleibt die Frage, wie dehnbar inzwischen die Anforderungen an die moralische Lauterkeit von politischen Führungskräften geworden sind. Wenn Politiker in schlechtester Tradition meinen, Moral weiterhin im Stile von Sonnenkönigen oder Dorftyrannen privat bewirtschaften zu können, irren sie, weil Intransparenz und Unredlichkeit keinesfalls geeignet sind, das Gemeinwesen auf globale Zivilisationsprozesse hin zu entwickeln. Demokratie hat Zukunft – ohne Silviagro, Plagiarius boulevardensis und Prof. Dr. mult. Kim irgendwas. Solche Kasperlfiguren dürfen gern die Gaudimedien bevölkern und einer Renaissance der commedia dell arte dienen, politische Verantwortung steht ihnen nicht zu.

Versorgungsfall oder Persönlichkeit – eine Hartz-IV-Frage

Das politische Spektakel um die sogenannten Hartz-IV-Gesetze nimmt kein Ende, eigentlich sollte dem Mann, dessen Name Sozialgeschichte schreibt, ein Denkmal gesetzt werden. Finanzieren werden es die Nutznießer der Fürsorgeindustrie: Rechtsanwälte, Journalisten, Politiker, Funktionäre, deren Weizen auf dem Mist deutscher Sozialgesetzgebung blüht wie nie zuvor.

Kein Grund eigentlich auch für alle anderen, über den Sozialstaat zu klagen – er gehört immer noch zu den leidlich intakten dieser Welt, jedenfalls wenn wir auf die Gelder schauen, die für Personal, Ausstattung, Versorgung mit Medikamenten und Hilfsmitteln, Kontrollen und Überwachung fließen. Geld ist auch gar nicht das Problem; selbst wenn ein Vielfaches in das System investiert würde, milderte es nicht Armut und Elend. Im Gegenteil: indem wir ausschließlich übers Geld verhandeln, mit dem eben jene Nutznießer der Fürsorgeindustrie gefüttert werden, übersehen wir das eigentliche Elend, dem mit der Delegierung an einschlägige Geldmaschinen eben nicht beizukommen ist. Die Rede ist von schreiender Armut an sozialer Grundbildung und einer Verelendung der Kultur infolge besinnungsloser Überflutung mit Medienmüll. Wir dürfen ohne zu übertreiben die mediale Landschaft als Müllhalde sehen, an der Produzenten und Verwerter prächtig verdienen, während eine wachsende Zahl von Menschen sich der Verwertung stinkender Reste hingeben. Das erspart ihnen die Mühsal einer weiterführenden Bildung, die Müllproduzenten andererseits sind der Verantwortung ledig, mehr für das Fortkommen der Randexistenzen tun zu müssen; sie schlafen sehr ruhig, da Müllfresser in ihrem persönlichen Umfeld nur ausnahmsweise auftauchen.

Sie halten mir entgegen, Slums neben Müllkippen gebe es nicht in Deutschland? Vielleicht nicht die Slums neben echten Mülldeponien wie in Asien oder Afrika. (Dorthin entsorgen wir ganz gern gefährliche Wohlstandsabfälle). Aber ist es übertrieben zu sagen, dass Deponien hierzulande besser gegen Giftmüll und Ausbrüche gesundheitsgefährdender Stoffe gesichert sind, als Kinderzimmer und Altenheime gegen das schleichende Gift der Gefühlskälte, gegen das Ausbrechen asozialer Gier nach Macht und Geld, einschließlich Lust an der sadistischen Vorführung von Gewalt, Prangerritualen und anderen Formen der Demütigung?

Welches Verhalten erleben Kinder als vorbildhaft und welche werden dadurch bei ihnen ausgebildet? Die des prügelnden, am Lebenslimit vegetierenden Proletariers dürfen wir wohl dem Reich historischer oder geografischer Erzählung zurechnen – je düsterer die Farben, in denen Medien, Pädagogen, Politiker sie malen, desto paradiesischer leuchtet der eigene Herrschaftsbereich. Nein. Fast alle Kinder – egal ob aus der “Elite” oder dem “Hartz-IV-Reich” – erleben durchsetzungsstarke Rechthaber und Anspruchswahrer als erfolgreich. Nur ausnahmsweise machen sie im familiären Umfeld die Erfahrung, dass Teilen, Helfen, Verzicht auf kurzfristigen Vorteil, mutiges Eintreten für eigene Meinung und das Recht des Schwächeren belohnt werden. Das gilt für Kindergärten und Schulen nicht minder. Der Medienmüll à la “Dschungelcamp” wuchert auch auf den Pausenhöfen der bestgeführten Anstalten, und die Pausenhöfe sind wesentlicher Trainingsplatz des Sozialverhaltens; die Klassenzimmer sind es oft nur insofern, als dort überforderte Pädagogen ihr angestelltes Dasein für die Jugend zum Spicken im Internet freigeben.

Langsam wird klar, dass diese Form von Erziehung und Bildung uns am Ende unseres Lebens reif für die Deponie machen könnte. Wir fürchten uns davor, hilfsbedürftig zu werden. Wir glauben dennoch hartnäckig weiter daran, letztlich alle Probleme mit Geld lösen zu können. Deshalb zahlen wir für Versicherungen. Sie sollen uns unabhängig machen von den Unwägbarkeiten des Lebens, von Konflikten in der Familie, mit dem Arbeitgeber, von Unfällen, Krankheiten, Naturkatastrophen. Wir sind so damit beschäftigt, das Geld für diese Unabhängigkeit zu verdienen, dass wir nicht merken, wenn uns am Ende niemand mehr braucht, dann nämlich, wenn wir nicht mehr funktionieren in der Welt leistungsorientierter, abrechenbarer, durchorganisierter Routinen und Rituale, wenn die Durchsetzungsstarken uns nicht mehr als potente Kunden sehen, sondern an uns Geld nur mehr zu verdienen ist, indem man uns – satt und sauber – ruhig stellt. Dafür kommt die Versicherung auf, die wir mehr oder weniger teuer bezahlt haben. Wir haben uns selber abgeschafft, während wir uns abschafften – jedenfalls als Persönlichkeiten. Persönlichkeiten leben nämlich von sozialem Umfeld, von , zu denen durchaus Konflikte gehören, allerdings auch die Fähigkeit, sie auszuhalten und – widerständig oder kooperativ – zu überwinden. Geld braucht einer dafür nicht, Vorbilder schon. Die geeignete Bildung ist das Training einer – für geringeren Einsatz ist Persönlichkeit nicht zu haben, für Geld gar nicht. Wo aber Persönlichkeit und personalisiertes Umfeld fehlen, also fast überall in der Arbeitswelt der Geldmaschinen, bleiben nur Versorgungsfälle.

In den vergangenen Jahren lasen, hörten, sahen wir immer wieder ; Reportagen oder Insiderprotokolle von schauderhaften Verhältnissen waren das, Geschichten von Übergriffen gegen wehrlose Patienten, von Gewalt und elendem Siechtum, von einsamem Absterben in sterilen oder verwahrlosten Häusern, wo überfordertes, unterbezahltes Personal menschliche Zuwendung durch forsche Sprüche und gnadenlose Routine ersetzt. Man mochte es nicht mehr lesen, hoffte zugleich inständig, dank eigenen familiären Rückhalts oder hinreichender finanzieller Vorsorge nicht auf einer solchen geordneten Deponie zu enden.

Da die Kinder längst im selben Tretrad des Sich-unabhängig-Machens mindestens ein Drittel ihres Lebens zubringen, also mit ihrer eigenen Entsorgung beschäftigt sind, haben sie natürlich keine Zeit, leidende Eltern zu betreuen, Dasselbe gilt – in unterschiedlich an Gewissensnöte gekoppelter Form – für Enkel, Geschwister, Freunde, Kollegen, … kurz: die ganze menschliche Umgebung. Jeder einzelne und alle zusammen wären mit der Pflege eines Dementen überfordert. Klar. Und deshalb sterben sehr, sehr viele von uns satt und sauber, aber sehr einsam.

Es fehlt uns an menschlicher Zuwendung, nicht an elektronisch gesteuerten Rollstühlen, Hör- und Sehhilfen, Prothesen, barrierefreien Internetseiten. Es fehlt uns an nachhaltigem, verlässlichem Zusammenhalt. Die sind unbezahlbar, um die muss man sich lebenslang selber bemühen, indem man Gefühlsbindungen wichtiger nimmt als Sachwerte, Rituale der Vertrautheit wichtiger als Höchstleistungen. Ein Heimaufenthalt wird dann immer noch nicht schön, aber man erhält bestimmt Besuch, der einen im Rollstuhl herumfährt, einen umarmt, bei den Händen hält, mit einem redet. Für das letzte Quäntchen eigenen Vermögens (also der Fähigkeiten, nicht des Geldes) findet sich in jedem Heim noch eine erfüllende Aufgabe, auf die man trainiert ist: die einen von Sachen unabhängig macht, nicht von Menschen. Vielleicht ändern sich dann sogar die Heime.

Großmutter 1989

Uneitles Vorbild, Erzieherin für drei Generationen, 86 Jahre alt

Avatare oder handelnde Personen?

Unappetitlich erfolgreich: die friedliche Küchenschabe.

Unappetitlich erfolgreich: die friedliche Küchenschabe.

 

Photo by Joăo Estęvăo A. de Freitas.

Die Kampagne gegen das Rauchen ist fast vorbei, die gegen Kinderpornographie war auf technische Details des WWW versessen und folgenlos, die Kampagne gegen das Zu-dick-Sein ist in vollem Gang, die gegen Alkohol so notorisch blödsinnig wie die gegen Gewaltdarstellungen.
Tritt jemand einmal einen Schritt zurück und fragt, was es eigentlich ist, das Menschen treibt zu derlei Übergriffen und Ersatzhandlungen? Worauf gründet der Geschäftserfolg von „Dschungelcamp“, die Anziehungskraft des subtilen Sadismus von Herrn Bohlen und Frau Klum und die Quotensicherheit jeder Sorte Antastung dessen, was laut Grundgesetz unantastbar sein soll? Hilft das Starren aufs simuliert Scheußliche dabei, das ganz reale Elend nicht wahrnehmen zu müssen?

Sie werden nicht gestellt. Nicht von Anstalten mit grundgesetzlichem Auftrag, geschweige von den als Quoten- und Geldmaschinen funktionierenden Medien der Privatwirtschaft. Nehmen wir also den armen Angestellten dieser Institutionen solche den eigenen Broterwerb gefährdenden Fragen ab. Die Antworten allerdings wird der mündige Bürger und Medienkonsument selber finden müssen. Sie werden ihm möglicherweise etwas mehr Intelligenz und Handlungsfähigkeit  abverlangen, als der Verzicht auf den Verzehr toter Tiere. Er wird sich entscheiden müssen, die Beziehungen zu den Menschen seiner Umgebung wichtiger zu nehmen als Geldanlagen und Risikovorsorge.

Erfreulicherweise gibt es schon Menschen, die heikle Fragestellungen zum Ausgangspunkt einer neuen Form des Wirtschaftens machen wollen: einer . Sie haben für den 11.02.2011 ein ihres Projekts in Pforzheim anberaumt. Das RealExperiment für eine Wirtschaft weg von den Sachen, hin zum Menschen. Interessiert?